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Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)

Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)

Titel: Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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nervös um, sein zuvor leichenblasses Gesicht war nun gerötet und seine Sommersprossen kaum mehr zu sehen. Sie standen in der Auffahrt, wo Aldís gerade einen Zwieback für den Vogel zerkrümelt hatte, der aufgeregt auf dem Hausdach tschilpte und darauf wartete, dass sie ging. Ein paar Monate Füttern reichten nicht, um ihr zu vertrauen, und er machte sich immer erst über das Futter her, wenn sie in sicherer Entfernung war. Nachdem er letztens bei dem Unwetter verschwunden war, kam er Aldís noch scheuer vor als vorher, als mache er sie für den Sturm verantwortlich, der ihn fortgeweht hatte. Sie machte sich nichts daraus und war einfach froh, dass er zurück nach Hause gefunden hatte.
    Aldís wischte sich die Krümel von den Hosenbeinen.
    »Hast du meine Briefe?«
    Die Frage war überflüssig, denn Tobbi hatte nichts in seinen schmutzigen Händen.
    »Nee, ich hab mich nicht getraut, sie zu nehmen. Da ist eine ganze Kiste, die kann man unmöglich wegtragen, ohne dass es jemand merkt.«
    »Wo wird sie aufbewahrt?«
    »Unten im Keller. Ich kann da nicht runter, das traue ich mich nicht.«
    Tobbi leckte sich über die Lippen und trat von einem Bein aufs andere. Hinter ihm hatte sich die Sonne am Himmel gesenkt, und der Horizont leuchtete. Aldís’ Mutter hatte ihr als Kind immer gesagt, ein schöner Sonnenuntergang kündige gutes Wetter für den nächsten Tag an. Vielleicht war das ein Zeichen, dass bald wieder alles zwischen ihnen gut würde. Vielleicht sogar schon morgen. Aldís würde die Briefe lesen und könnte ihrer Mutter dann verzeihen. Trotz der Kälte wurde ihr warm bei dem Gedanken.
    »Ich hab Lilja die Post gegeben und sie dann beobachtet. Sie hat sie zu Veigar ins Büro gebracht und ist mit leeren Händen wieder rausgekommen. Ich hab mich im Zimmer gegenüber versteckt und das Büro durch den Türspalt beobachtet. Nach einer ewigen Zeit ist Veigar endlich rausgekommen, mit den Briefen. Ich bin ihm zum Hauptgebäude gefolgt und hab ihn in den Keller gehen sehen.«
    »Woher weißt du, dass er sie in eine Kiste gelegt hat?«
    »Ich bin rausgerannt und hab durchs Kellerfenster geguckt. Er hätte mich fast gesehen, ich konnte gerade noch abhauen.« Der Junge riss die Augen auf, und seine feuerroten Lippen zitterten. »Glaubst du, dass er mich gesehen hat?«
    Aldís schüttelte energisch den Kopf und versicherte:
    »Ganz bestimmt nicht. Wo im Keller steht die Kiste? Wenn ich runtergehe, um sie zu holen, will ich nicht überall suchen.«
    »In dem Regal bei der Treppe.« Tobbi drehte sich um, streckte seine rechte Hand aus und versuchte auszumachen, auf welcher Seite das Regal stand. »Rechts davon.« Die Röte auf seinen Wangen hatte nachgelassen, und sein Gesicht leuchtete. »Das war ja wohl spitze, oder?«
    »Ja, echt spitze.«
    Aldís lächelte ihm zu, beherrschte sich aber, ihm durchs Haar zu streichen, obwohl sie es gerne gemacht hätte. Ab und zu hatten sie im Heim Läuse, und Aldís war bisher verschont geblieben. Sie wollte das Heim nicht mit einem Kurzhaarschnitt verlassen, dann würde sie noch nicht mal bis zum Vorstellungsgespräch kommen, wenn sie sich als Stewardess bewarb.
    »Noch eine Frage, Tobbi, dann kannst du gehen«, sagte sie.
    Tobbis Schultern sackten nach unten, und sein Blick wurde wieder ängstlich.
    »Ich muss jetzt gehen. Ich muss noch lernen und will bis zum Abendessen fertig sein«, entgegnete er hastig.
    Aldís hörte nicht auf seine Einwände. Sie waren wie das Rauschen ihres kleinen Radios, das sie schon lange nicht mehr störte.
    »Warum hast du gesagt, Veigar hätte sein Kind umgebracht?«
    Tobbi stocherte mit seinem ausgelatschten Turnschuh im Kies herum.
    »Nur so.«
    Aldís packte den Jungen am Kinn und zwang ihn, ihr ins Gesicht zu schauen. In seinen blauen Augen las sie eine stumme Bitte: Geh weg! Wenn du doch nie hergekommen wärst!
    »Sag mir, wer dir das erzählt hat. Ich verspreche dir auch, es niemandem weiterzusagen. Darauf kannst du dich verlassen.«
    »Versprichst du es?«
    »Ja, ich verspreche es. Sag mir, warum du glaubst, dass Veigar das Kind getötet hat. Ich verspreche dir, dich dann in Frieden zu lassen.«
    »Ich hab’s gesehen«, sagte Tobbi und versuchte, sich aus Aldís’ Griff zu winden, aber sie ließ nicht los. Seine Augen flackerten und wichen ihrem Blick aus. »Ich hab mit Veigar im Stall gearbeitet, als er geholt wurde, weil Lilja in den Wehen lag.« Tobbi schluckte. »Ich wusste nicht, was ich machen sollte, und hab mich nicht getraut zu gehen.

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