Seelen
überholen.
Jared nahm eine Taschenlampe aus dem Handschuhfach. Ich wusste, was er vorhatte: Beruhigung.
Er leuchtete sich mit der Lampe in die Augen, als wir am Führerhaus des Lastwagens vorbeifuhren. Ich sah an ihm vorbei durch das Seitenfenster. Kyle nickte Jared zu und atmete tief durch. Ian beugte sich nervös vor, seine Augen auf mich gerichtet. Ich winkte einmal und er verzog das Gesicht zu einem schiefen Grinsen.
Wir näherten uns unserer versteckten Ausfahrt.
»Soll ich bis nach Phoenix weiterfahren?«
Jared dachte darüber nach. »Nein. Wir könnten ihnen auf dem Rückweg wieder begegnen und sie würden uns vielleicht noch mal anhalten. Ich glaube nicht, dass sie uns folgen. Sie konzentrieren sich auf die Straße.«
»Nein, sie werden uns nicht folgen.« Dessen war ich mir sicher.
»Dann lass uns nach Hause fahren.«
»Nach Hause«, stimmte ich aus vollem Herzen zu.
Ich schaltete das Licht aus und Kyle hinter uns ebenfalls.
Wir würden mit beiden Fahrzeugen bis an die Höhlen heranfahren und sie schnell entladen, so dass wir sie rechtzeitig vor Tagesanbruch wieder verstecken konnten. Der kleine Vorsprung am Eingang würde sie nicht vor Blicken schützen.
Ich verdrehte die Augen, als ich an den Ein- und Ausgang der Höhlen dachte. Das »große Geheimnis«, das ich allein nicht hatte lüften können. Jeb war so ein schlauer Fuchs.
Schlau - genau wie die Richtungsangaben, die er Mel gegeben hatte, die Linien, die er in die Rückseite ihres Fotoalbums geritzt hatte. Sie führten überhaupt nicht zu seinem Höhlenversteck. Nein, stattdessen ließ er die Person, die ihnen folgte, vor seinem Geheimversteck hin- und hermarschieren und hatte so ausgiebig Gelegenheit zu entscheiden, ob er sie hereinbat oder nicht.
»Was, glaubst du, ist passiert?«, fragte Jared und unterbrach damit meine Gedanken.
»Was meinst du?«
»Der kürzlich Verschwundene, von dem der Sucher gesprochen hat.«
Ich starrte verständnislos vor mich hin. »Ich dachte, er meinte mich damit.«
»Ich glaube nicht, dass du noch als kürzlich verschwunden giltst, Wanda. Außerdem haben sie den Highway noch nicht beobachtet, als wir losgefahren sind. Das ist neu. Sie suchen nach uns. Hier.«
Seine Augen verengten sich, während meine groß wurden.
»Was haben sie getan?«, explodierte Jared plötzlich und schlug mit der Hand auf das Armaturenbrett. Ich fuhr zusammen.
»Du glaubst, Jeb und die anderen haben irgendetwas getan?«
Er antwortete mir nicht, er starrte nur mit wütendem Blick hinaus in die sternenhelle Wüste.
Ich verstand das nicht. Warum sollten die Sucher nach Menschen suchen, nur weil irgendjemand in der Wüste verschwand? Es gab immer wieder Unfälle. Warum sollten sie ausgerechnet zu diesem Schluss kommen?
Und warum war Jared wütend? Unsere Familie in den Höhlen würde nichts tun, das Aufmerksamkeit erregte. Sie wussten es besser. Sie würden nicht hinausgehen, wenn es nicht irgendeine Art Notfall gab.
Oder etwas, das sie für dringend hielten. Für notwendig.
Hatten Doc und Jeb meine Abwesenheit ausgenutzt?
Jeb hatte nur zugestimmt, dass er damit aufhören würde, Menschen und Seelen abzuschlachten, während ich mich unter demselben Dach aufhielt. War das ihr Kompromiss?
»Alles okay mit dir?«, fragte Jared.
Meine Kehle war wie zugeschnürt, so dass ich nicht antworten konnte. Ich schüttelte den Kopf. Tränen strömten mir über die Wange und fielen mir vom Kinn in den Schoß.
»Vielleicht sollte ich besser weiterfahren.«
Ich schüttelte wieder den Kopf. Ich konnte gut genug sehen.
Er diskutierte nicht mit mir.
Ich weinte immer noch lautlos, als wir den kleinen Berg erreichten, der unser weitläufiges Höhlensystem beherbergte. Eigentlich war es nur ein Hügel - eine unbedeutende Anhäufung von Vulkangestein wie so viele andere, vereinzelt bewachsen mit dürrem Kreosot und plattohrigem Feigenkaktus. Die Tausende von winzigen Fensterchen waren unsichtbar, verborgen im Durcheinander loser purpurfarbener Felsen. Irgendwo würde Rauch aufsteigen, schwarz vor schwarzem Hintergrund.
Ich stieg aus dem Lieferwagen und lehnte mich an die Tür, wobei ich mir die Augen wischte. Jared stellte sich neben mich. Er zögerte, dann legte er mir eine Hand auf die Schulter.
»Tut mir leid. Ich wusste nicht, dass sie das vorhatten. Ich hatte keine Ahnung. Sie hätten nicht …«
Aber das dachte er nur, weil sie irgendwie erwischt worden waren.
Der Umzugswagen kam ruckelnd hinter uns zum Stehen. Zwei Türen wurden
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