Seelen
brütete er immer noch, als ich schließlich einschlief.
Als ich aufwachte, saß Jared so auf der Matte, dass ich ihn sehen konnte, die Ellbogen auf die Knie gestützt, sein Kopf an eine Faust gelehnt.
Ich hatte nicht den Eindruck, mehr als ein oder zwei Stunden geschlafen zu haben, aber mir tat alles weh, so dass ich nicht gleich wieder einschlafen konnte. Stattdessen dachte ich über Ians Besuch nach und fürchtete, dass Jared nach Ians seltsamer Reaktion jetzt nur noch stärker darauf bedacht sein würde, mich abzuschotten. Hätte Ian nicht den Mund halten können, was seine Schuldgefühle anging? Wenn er wusste, dass er sich schuldig fühlen würde, warum ließ er es dann nicht gleich bleiben, irgendwelche Leute zu würgen? Melanie war ebenfalls wütend auf Ian und machte sich Sorgen, was seine Gewissensbisse für Folgen haben würden.
Nur wenige Minuten später wurden unsere Überlegungen unterbrochen.
»Ich bin’s nur«, hörte ich Jeb rufen. »Reg dich nicht auf.«
Jared hob das Gewehr.
»Na los, erschieß mich, Junge. Na los.« Das Geräusch von Jebs Stimme kam mit jedem Wort näher.
Jared seufzte und nahm das Gewehr herunter. »Bitte geh.«
»Muss mit dir reden«, sagte Jeb und prustete, als er sich neben Jared auf die Matte setzte. »Hallo da drinnen«, sagte er und nickte in meine Richtung.
»Du weißt, wie sehr ich das hasse«, murmelte Jared.
»Jep.«
»Ian hat mir schon von den Suchern erzählt.«
»Ich weiß. Ich habe gerade mit ihm darüber gesprochen.«
»Gut. Was willst du dann?«
»Es geht nicht so sehr darum, was ich will. Sondern eher darum, was wir brauchen. Fast alles wird langsam knapp. Wir brauchen einen groß angelegten Beutezug.«
»Oh«, murmelte Jared; er hatte mit einem anderen Thema gerechnet. Nach einer kurzen Pause sagte er: »Schick Kyle.«
»Okay«, sagte Jeb leichthin und stützte sich an der Wand ab, um sich wieder aufzurichten.
Jared seufzte. Offenbar war sein Vorschlag nicht wirklich ernst gemeint gewesen. Er knickte sofort ein, als Jeb darauf einging. »Nein. Kyle nicht. Er ist zu …«
Jeb kicherte. »Hat uns beinahe in die Scheiße geritten, als er das letzte Mal alleine unterwegs war, was? Keiner, der groß nachdenkt. Wie wär’s mit Ian?«
»Der denkt zu viel nach.«
»Brandt?«
»Der taugt nicht für die langen Touren. Fängt nach ein paar Wochen an Panik zu kriegen. Macht Fehler.«
»Okay, wer dann?«
Die Sekunden verstrichen und ich hörte, wie Jared gelegentlich Luft holte, als wollte er Jeb antworten, aber dann atmete er jedes Mal wieder aus, ohne etwas zu sagen.
»Ian und Kyle gemeinsam?«, fragte Jeb. »Vielleicht gleichen sie sich gegenseitig aus.«
Jared knurrte. »Wie beim letzten Mal? Okay, okay, ich weiß, dass ich selbst gehen muss.«
»Du bist der Beste«, stimmte Jeb ihm zu. »Seit du hier aufgetaucht bist, hat sich unser Leben verändert.«
Melanie und ich nickten vor uns hin; das überraschte keine von uns beiden.
Jared ist unglaublich. Jamie und ich waren vollkommen sicher, solange wir uns auf Jareds Instinkte verlassen konnten; wir sind nie auch nur annähernd in Gefahr geraten. Wenn das in Chicago Jared gewesen wäre, bin ich sicher, er wäre nicht erwischt worden.
Jared wies mit der Schulter in meine Richtung. »Und was ist mit …?«
»Ich werde ein Auge auf sie haben, sooft ich kann. Und du solltest Kyle mitnehmen, das wird helfen.«
»Das wird nicht reichen - dass Kyle weg ist und du ein Auge auf sie hast, sooft du kannst. Sie … es wird nicht lange am Leben bleiben.«
Jeb zuckte mit den Schultern. »Ich werde mein Bestes geben. Das ist alles, was ich tun kann.«
Jared begann langsam den Kopf zu schütteln.
»Wie lange willst du noch hier unten bleiben?«, fragte Jeb ihn.
»Ich weiß es nicht«, flüsterte Jared.
Sie schwiegen lange. Nach ein paar Minuten begann Jeb unmelodisch vor sich hin zu pfeifen.
Schließlich atmete Jared lautstark aus. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass er die Luft angehalten hatte.
»Ich mache mich heute Nacht auf den Weg.« Die Worte kamen langsam heraus, resigniert, aber auch erleichtert. Seine Stimme veränderte sich leicht, war etwas weniger angespannt. Es war, als würde er sich wieder in den zurückverwandeln, der er gewesen war, bevor ich hier auftauchte. Eine Verantwortung wurde ihm von den Schultern genommen und durch eine andere, willkommenere ersetzt.
Er gab es auf, mich am Leben zu erhalten, und ließ der Natur - oder besser gesagt der Lynchjustiz - ihren Lauf. Wenn er
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