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Seelenangst

Seelenangst

Titel: Seelenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Etzold
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grausamen Zug um den Mund.
    Warum hat er mich betäubt? Damit ich nichts mitkriege? Oder damit ich alles mitkriege?
    Er versuchte zurückzuweichen, als der Mann sich näherte, doch es ging nicht. Er spürte das leichte Ziehen in den Handflächen und an den Füßen, fühlte das Parkett, das noch glitschiger geworden war von seinem Blut.
    Lass nicht zu, dass er mich tötet, flehte er noch einmal, doch sein rationaler Verstand, der trotz der Extremsituation einen Rest analytischer Schärfe behalten hatte, veränderte dieses Gebet augenblicklich, als er das Schwert und den grausamen Mund des Mannes sah, der sich nun zu ihm herunterbeugte.
    Mach, dass er mich schnell tötet.
    Dann nahm der Mann die Brille ab.
    Als Franco Gayo sah, was sich dahinter verbarg, wurde er das zweite Mal bewusstlos.

10
    Alvaro de la Torrez ging zum Pult. Auf der Leinwand erschien ein neues Bild. Ein ledernes Buch, das jahrhundertealt zu sein schien.
    »Dies ist das Flagellum Daemonum, auch Die Geißel des Teufels genannt«, sagte de la Torrez, und in seiner Stimme schwang eine Spur von Stolz mit. »Es basiert auf den ersten Schriften zur Teufelsaustreibung aus den Jahren 790 und 800 nach Christus und ist das erste Standardwerk des Exorzismus, geschrieben vom Franziskanermönch Girolamo Menghi im Jahre 1576. Es war die Zeit der Reformation. Damals wie heute musste der Exorzismus sich im Dunkel von Luthers Irrlehren rechtfertigen. Damals wie heute wurde die Existenz des Satans abgestritten, während die Reformation alles mit einem nebeligen Mehltau verdeckte und die Wissenschaft glaubte, sie hätte den Stein der Weisen entdeckt.«
    »Wurde das Flagellum Daemonum nicht auf den Index der verbotenen Bücher des Vatikans gesetzt?«, fragte einer der Studenten.
    Alvaro nickte. »So ist es. Denn wie gesagt, auch im Vatikan lauert der Teufel. Das Flagellum Daemonum wurde im achtzehnten Jahrhundert verboten, genau wie andere Bücher Menghis oder wie der berüchtigte Malleus Maleficarum, der Hexenhammer von Jakob Sprenger.« Er hielt kurz inne. »Dennoch: Girolamo Menghi ist der Vater des Exorzismus, der die vormals verstreuten Lehren und Rituale in einem Werk zusammenfasste. Ohne ihn wäre das Rituale Romanum, das 1614 fertiggestellt wurde und den umfassendsten Ritus des Exorzismus beinhaltet, niemals so vollständig geworden, wie es ist.« Er wandte sich wieder dem Fragenden zu. »Aber Sie hatten nach den Anzeichen der Besessenheit gefragt, nicht wahr?«
    Der Priesteranwärter nickte.
    »Menghi spricht in seinem Werk von sieben Zeichen oder sieben Fähigkeiten, die die Besessenen von anderen Menschen unterscheiden.« Er hob den Daumen. »Erstens: Das Sprechen in unbekannten Sprachen, die sie nie gelernt haben. Zweitens:« Der Zeigefinger hob sich. »Sie wissen Dinge, die sie nicht wissen können. Drittens: Sie haben physische Kräfte, die weit über das menschliche Maß hinausgehen.«
    »Zum Beispiel?«, fragte eine der Nonnen.
    »Zum Beispiel wie jemand, der den tonnenschweren Taufstein von San Sebastian mitsamt der Verankerung aus dem Boden reißt.«
    Die Nonne zuckte zurück. Offenbar hatte sie die Geschichte mit dem Taufstein gehört, allerdings nicht vor diesem Hintergrund.
    »Viertens«, Alvaros Mittelfinger hob sich, »ein irrationaler, vorher nicht da gewesener Hass auf Priester, Sakramente, heilige Texte und Gegenstände sowie auf Eltern und Freunde. Fünftens: Depression und Melancholie. Sechstens: Das ständige Ausrufen von Blasphemien und laute Gebete an den Satan. Und siebtens: Das Ausspucken von Messern, Glassplittern und anderen Objekten.«
    Der chinesische Student hob die Augenbrauen. »Waren sie vorher im Mund des Betreffenden?«, fragte er.
    Alvaro schüttelte den Kopf. »Sie sind dort materialisiert. Es können auch kleine Figuren, Scherben oder Rasierklingen sein.«
    »Haben Sie das schon einmal gesehen?«
    Alvaro nickte. »Hunderte Male.« Er blickte auf die Uhr und ging zum Pult zurück. Ein neues Bild erschien auf dem Beamer, das die Themen der nächsten sieben Vorlesungen der Reihe »Der Exorzist als Nachfolger Christi« zeigte.
    »Nächste Woche«, sagte Alvaro und zog einen Laserpointer hervor, »behandeln wir den Ursprung und die Geschichte des Satans. Danach die Eschatologie und die vier letzten Dinge: Tod, Jüngstes Gericht, Himmel und Hölle.« Das rote Licht des Laserpointers rann wie ein Blutfaden nach unten. »Anschließend beschäftigen wir uns mit Exorzismen im Alten und Neuen Testament. In der vierten Vorlesung«, der

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