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Seelenangst

Seelenangst

Titel: Seelenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Etzold
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über die Stirn. »Dann sollten wir …«
    Sein Blick huschte zur Tür, wo Frau Bories stand.
    »Tut mir leid«, sagte sie. »Ich habe dem Kollegen gesagt, dass Sie in einer Besprechung sind, aber er meinte …«
    »… dass es wichtig ist, ganz recht.« Hermann schob seine massige Gestalt an der Sekretärin vorbei. »Dr. Bellmann, liebe Kollegen, es tut mir leid, Sie zu stören, aber es ist wichtig.«
    Bellmann atmete aus und schaute Winterfeld an, als erwarte er Hilfe von ihm. Doch auch der blickte auf Hermann, als würde er auf den Weltuntergang warten.
    »Die Kollegen haben die Person identifiziert, die höchstwahrscheinlich Wolters und Krüger ermordet hat. Vermutlich auch Gayo, denn wir haben dieselben Fingerabdrücke in dessen Büro gefunden.«
    »Wir kennen den Täter?« Bellmann sprang auf.
    »Nicht den Täter «, verbesserte Hermann.
    Clara schien es, als würde sein Gesicht in sich zusammenlaufen wie ein Schoko-Osterhase in der Sonne.
    »Was sagen Sie da?« Bellmann war endgültig aufgestanden.
    »Der Täter«, sagte Hermann, »ist eine Frau.«

33
    Schwarzgraue Wolken zogen über den düsteren Himmel, und der Wind strich flüsternd über die hohen Grashalme.
    »Du hast uns enttäuscht«, sagte der Mann mit der schwarzen Brille, als seine beiden Helfer die Frau, deren Hände gefesselt waren, hinter das riesige Haus in den Garten führten, den man von außen nicht einsehen konnte. Eine blasse Sonne, die alle Farbe aus den Gesichtern zog, schien trübe durch den Nebel.
    »Wir haben es dir weggenommen, erinnerst du dich?«, fuhr der Mann fort, doch die Frau verzog nur voller Schmerz das Gesicht. »Wir haben es dir weggenommen, weil du schon damals nicht gehorcht hast. Und eben hast du wieder nicht gehorcht.«
    Die zwei Helfer stießen die Frau nach vorne in den hinteren Teil des Gartens, wo zwei weitere Männer mit Schaufeln in den Händen vor einer kleinen Kiste standen.
    »Deshalb müssen wir dich noch einmal daran erinnern, dass du gehorchen musst «, fuhr der Mann mit der schwarzen Brille fort. »Und dich noch einmal bestrafen.«
    Einer der Helfer trat der sich sträubenden Frau in die Kniekehlen, damit sie weiterging. Als sie die Stelle im Garten sah und die Kiste, vor der die Männer standen, schrie sie auf, die Augen voller Panik aufgerissen.
    Der Mann mit der schwarzen Brille brachte sein Gesicht nahe an das der Frau. »Ich herrsche über euch, spricht der Herr der Erde«, sagte er mit dumpfer Stimme. »Er, in dessen Händen die Sonne ein glitzerndes Schwert ist und der Mond ein alles durchdringendes Feuer.«
    Sie stießen die Frau weiter in Richtung der Grube und zu den Männern mit der Kiste.
    »Unser Herr duldet es nicht, wenn seine Diener ungehorsam sind. Und daran«, der Wortführer griff in ihre Haare und zerrte ihren Kopf nach hinten, »werden wir dich jetzt erinnern.«
    Die Frau schluchzte auf. Bilder von damals erschienen vor ihrem inneren Auge. Der Tisch mit den Messern, das kleine Etwas, das Blut. Und der Schrei. Der Schrei, den sie ausgestoßen hatte und der so laut, verzweifelt und lang anhaltend war, dass sie glaubte, sie würde erst verstummen, wenn ihre Stimmbänder zerrissen waren.
    Doch damit war es nicht zu Ende gewesen. Das Schlimmste kam erst noch. Immer wieder war die Erinnerung grauenhaft, und mit jedem Mal wurde sie schrecklicher. Und so würde es weitergehen, das wusste die Frau. Monate. Jahre …
    Sie hatten die Grube erreicht.
    »Du weißt, was wir mit ihm gemacht haben. Und das war deine Schuld. Und du weißt, was du tun musst, um dich daran zu erinnern, dass es deine Schuld war.« Die Männer hoben die Kiste vor ihr Gesicht. »Du wirst merken, wie es schmeckt, dem Gott der Finsternis und seinem Orden nicht zu gehorchen.«
    Tränen liefen der Frau über die Wangen, als einer der Männer die kleine Kiste öffnete.
    Bei dem Anblick, der sich ihr bot, erfasste sie heftige Übelkeit. Sie schwankte. Nur das Adrenalin, das heiß durch ihre Adern strömte, bewahrte sie davor, bewusstlos zu werden.
    In der Kiste lag etwas, das in bräunlich-schwarze Verwesung übergegangen war. Am Bauch waren zwei Wunden zu sehen, die Spuren von Zähnen aufwiesen, als hätte dort jemand das Fleisch herausgebissen.
    Die Frau wusste, es waren ihre eigenen Zähne.
    Vor ihr lag, auf einem Tuch aus schwarzem Samt, was einst ihr gehört hatte. Sie hatten es ihr genommen, als es zwei Wochen alt gewesen war.
    Die schwarzbraune Leiche ihres eigenen Kindes.

Zweites Buch
D IE F RAU UND DER D RACHE
    Es gibt

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