Seelenangst
den Satan.
Ich habe Hunderte Male mit ihm gesprochen.
– Don Gabriele Amorth, Exorzist der Diözese Rom und Chef-Exorzist des Vatikans 1
1
Der Täter ist eine Frau.
In diesem Moment war das Gespräch mit Bellmann unwichtig geworden. Er selbst schien es genauso eingeschätzt zu haben, denn er hatte kein Wort mehr gesagt.
»Hier ist das Ergebnis der DNA-Probe, die wir am Tatort von Gayo wie auch bei Wolters und Krüger gefunden haben«, sagte Hermann und zeigte auf den Bericht der Rechtsmedizin. »Mandy Weiss, geboren 1976, wohnhaft in Neukölln.« Er tippte mit dem Finger auf die Akte. »Sie lebt in einem besetzten Haus. Könnte schwierig für uns werden.«
Clara nickte. Menschen aus besetzten Häusern zu holen war oft wie ein Griff ins Wespennest. »Was steht sonst noch in der Akte?«
»Die Frau ist vorbestraft«, antwortete Hermann. »Diverse Drogendelikte. Sie ist möglicherweise heroinabhängig, aber das ist nicht hundert Prozent sicher. Beschaffungskriminalität, Jugendvollzugsanstalt, Hartz IV, häufig wechselnde Beziehungen, schließlich Prostitution.«
Clara nickte bloß. Sie kannte solche Geschichten. Es gab ein dunkles Loch, in das man fallen konnte. Und wenn man erst einmal darin war, kam man nie wieder heraus. Es begann mit den falschen Freunden. Mit denen man abhängen kann. Die einem sagen, dass Geld nicht so furchtbar wichtig ist. Die einem irgendwann mal etwas anbieten. Dann geht’s dir besser, behaupten sie. Man probiert von dem Zeug. Dann noch einmal. Und noch einmal. Und dann braucht man mehr, immer mehr. Hat aber kein Geld. Geht betteln. Oder stehlen. Oder beides. Und irgendwann verkauft man das Letzte, was einem geblieben ist, den eigenen Körper.
Es waren Frauen wie Mandy, die an den Autobahnausfahrten standen und mit den Mädchen aus Osteuropa konkurrierten in einem Markt, wo alles käuflich war. Einige versuchten es auf eigene Faust. Die meisten aber wurden von Zuhältern »eingeritten«, wie sie es nannten, und dann auf den Strich geschickt. »Je mehr Tabus du hast, desto weniger Geld kriegst du«, sagten die Luden.
Clara hatte einen dieser Typen vor einiger Zeit eingebuchtet, nachdem er einen Konkurrenten erschossen hatte. »Was wollt ihr eigentlich?«, hatte der Mann gesagt. »Ich bin Organspender, ich bin Menschenfreund. Und ich spende nicht nur einmal, sondern immer. Und zwar den ganzen Körper.«
Clara hätte ihn am liebsten über den Haufen geschossen.
»Wie viele von den Hausbesetzern werden in der Wohnung sein?«, fragte Winterfeld nun.
»Schwer zu sagen«, erwiderte Hermann. »Fünf bis zehn vielleicht. Wir sollten ein paar Leute vom MEK mitnehmen, falls es zu Handgreiflichkeiten kommt.«
»Gut«, sagte Clara. »Hausdurchsuchungsbefehl vom Bereitschaftsrichter.«
»Ist unterwegs«, antwortete Hermann. Er wandte sich an Winterfeld. »Du sollst Rathenow deswegen noch mal anrufen. Dann faxt er das Ding durch.«
Winterfeld nickte. »Mach ich.« Rathenow war der zuständige Oberstaatsanwalt. Die Verbindung zwischen ihm und Winterfeld konnte man beinahe schon als Standleitung bezeichnen.
»Ruft Marc und Philipp vom MEK an«, sagte Clara. »Ich denke, wir brauchen sechs Männer. Abmarsch in einer Stunde? Ist das machbar?«
Hermann nickte. »Denke schon.«
»Ich sag Rathenow, er soll wegen des Durchsuchungsbefehls beim Bereitschaftsrichter Gas geben.«
Freese kam hinzu und wandte sich an Clara.
»Das sieht ja fast so aus, als wäre dieser Fall schon zu Ende«, sagte er.
»Zu Ende?«, fragte Clara. »Es ist zu Ende, wenn es zu Ende ist, nicht vorher.«
2
Das Gesicht der Frau sah aus, als hätte ihr jemand eine schmutzige, zerrissene Maske aufgesetzt.
Nur war es keine Maske, sondern eine Wüste aus Schmutz und Tränen, Schrecken und Verzweiflung. Sie hatte sich mit den Fingernägeln die Haut zerkratzt. Nasse, schorfige Wunden, in deren Tiefen noch Reste von warmem Blut blitzten, zogen sich über ihre Wangen – Gräben aus Feuer in einer Landschaft wie aus der Hölle. Die Augen der geschundenen Frau waren entzündet und blickten voller Panik in eine Welt, die für sie nur noch aus Schmerz und Angst zu bestehen schien.
Man verliert Kraft, wenn man mitleidet, sagte sich der Mann, der oben am Ende des Brunnenschachtes stand, während die Frau langsam zu ihm heraufkletterte. Und Mitleid zehrt an der Kraft, die man braucht, um zu herrschen, zu unterwerfen und zu töten.
Langsam kletterte die Frau die Strickleiter hinauf, die aus dem schwarzen Brunnenschacht führte.
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