Seelenasche
klare Blau und die schneidende Kälte eines Bergsees. Er rauchte schwarze Gauloises.
»Ich dachte, er sei nur dienstlich verreist«, fuhr er finster fort, »aber wie sich zeigt, ist mein Vater einfach verschwunden.«
Mehr aus Höflichkeit als aus Interesse fragte Dessislava:
»Und wohin?«
»Weià der Teufel, wohin!«
»Er wird schon zurückkommen.«
»GroÃvater ist stinksauer. Mama meint, Papa sei abgehauen, und zwar für immer.«
»Hast du mal versucht, mit ihm zu reden?«
»Wollte ich ja, aber Mama hat mich zurückgehalten.«
»Sie ist sicher ziemlich durch den Wind, in diesem Alter â¦Â«
»Ganz im Gegenteil, sie wirkt eher erleichtert â¦Â« Christos Blick verharrte auf der Ikone des heiligen Georg, bis er das richtige Wort gefunden hatte. »⦠erleichtert, wieder im Reinen mit sich zu sein.«
»Ich weià nicht, was auf einmal in diese alten Leute fährt ⦠Meine Eltern waren auch drauf und dran, sich scheiden zu lassen, aber als Neda, meine Schwägerin, dann tödlich verunglückte â¦Â«
»Ich hab so eine üble Vorahnung, Dess.«
»Na, ist doch klar, dass dir nicht wohl ums Herz ist!«
»Ich bin ja auch kein junger Hüpfer mehr. Trotzdem kommt mir das Ganze seltsam vor und lässt mich nicht kalt. Es sind immerhin meine Eltern.«
Während sie ihm Whisky nachgoss und Eis aus dem Kübel hineingleiten lieÃ, schaute sie sich ihren Vetter näher an. Sein Lächeln kam ihr jetzt viel verletzlicher und hilfloser vor. Sie schwankte noch, konnte sich aber nicht länger beherrschen. Sie musste einfach mit jemandem reden, denn auch bei ihr kam einiges zusammen, was ihr Kopfzerbrechen machte, ihr quer lag. Zu ihrer Mutter hatte sie kein Vertrauen, ihren Vater wollte sie nicht in Besorgnis stürzen, und bei ihrem Bruder fürchtete sie, nur auf Gleichgültigkeit zu stoÃen.
»Ich wollte unbedingt mit dir reden, weil ich das Gefühl hatte, ich würde sonst durchdrehen.«
Bei diesen Worten begann sie überraschend zu weinen. Blöde, das. Und dann auch noch so richtig untröstlich, wie die kleine Jana.
»Dess, erschreck mich nicht!«
»Erst reg ich mich über meine Eltern auf, und jetzt lass ich mich vermutlich selber scheiden. Kannst du dir das vorstellen?«
Sie wischte sich die Tränen ab und setzte ein tapferes Lächeln auf. Dann erzählte sie ihm im Stenogrammstil von der Generalprobe zu Warten auf Godot , von der Kälte im Theatersaal, von dem neckischen SchneeglöckchenstrauÃ, den sie für Pepa Koitscheva erstanden hatte, und wie ein plötzlicher Windstoà die Tür zu deren Garderobe aufdrückte ⦠kurz, jene Zufallsfügungen des Schicksals, die uns so unverhofften Einblick in die hässlichen Seiten des Lebens geben. Sie erzählte Christo auch, wie Simeon nachher, statt zu seinem Fehltritt zu stehen, versuchte, seine Bühnenpartnerin und Geliebte schlechtzumachen und herunterzuspielen, um seine eigene Niedertracht zu übertünchen und als Unschuldslamm dazustehen.
»O Gott«, sagte Christo nur, aber Dessislava spürte an seiner Stimme, in der auÃer Mitgefühl auch eine Spur kaum verhüllter Freude mitschwang, dass er genau wie sie nicht etwa Schock und Entsetzen, sondern eher Erleichterung empfand.
»Und weiÃt du, was das Verblüffendste ist?«
»Nein, du Ãrmste.«
»Das Unglaubliche ist, dass ich beim Hineinlugen in die Garderobe das Gefühl hatte, mich ginge das da drinnen eigentlich überhaupt nichts an. Ich hab einfach nichts empfunden. Bin ich nicht eine schreckliche Egoistin?«
»Vielleicht liebst du ihn einfach nicht?«
»Ich hab nie besonders starke Gefühle für Sim gehabt. Ich hab ihn geheiratet, um mich in Sicherheit zu bringen.«
»Vor wem?«
»Vor mir natürlich!«
»Und, geschafft?«
»AuÃerdem war Sim damals verrückt nach mir, und ich hab vielleicht unterschwellig gehofft, wenn ich ihn heirate, geht dieser Irrsinn vorbei. Wie du siehst, habe ich nicht vergeblich gehofft.«
Christo zündete sich eine neue Zigarette gleich an der aufgerauchten an. Er wirkte aufgewühlt. Seine verträumt glänzenden Augen irrlichterten ergeben in ihre Richtung. Da wurde ihr plötzlich klar: Wenn sie ihn, Christo, in einer so widerlich vulgären Situation ertappt hätte, wäre sie auf der Stelle umgefallen. Nur: warum? Er war
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