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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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Privat verscherbelt. Hinter vorgehaltener Hand munkelte man, dass die Luxusboutiquen hier über Mittelsmänner bereits in den Besitz des Bürgermeisters übergegangen waren, zum Teil auch an einige der geschäftstüchtigeren neureichen Ganoven. Man sah fast nie, dass Kunden diese Edelschuppen betraten, über denen die Schriftzüge der angesagtesten Marken der weltweiten Modebranche zu lesen waren. Die Preise waren so hoch, dass für Frauen wie Dessislava sogar der verträumte Blick ins Schaufenster schon unerschwinglich war. Man wurde den Eindruck nicht los, dass diese von geschliffenen Marmor- und Granitplatten verkleideten Guckkästen ohnehin nicht so hochgestylt waren, um zahlungskräftige Kundschaft anzulocken, sondern um Geld zu waschen oder mit den Grundstücken in bester Lage zu spekulieren. In schreiendem Kontrast dazu saßen im goldvioletten Widerschein dieser Schatztruhen zerlumpte Bettler und Krüppel, denen mal Arme, mal Beine fehlten, oder das Augenlicht, und denen die Aura des Leidens, jener heiligen Sphäre des Geistes, das Recht gab, ihre Mitmenschen um Almosen anzugehen.
    Â»Aber ich bitte dich«, erwiderte Christo und öffnete ihr den Schlag seines riesigen BMW, »komm doch mit.«
    Im Licht der Dämmerung sah sein Gesicht gezeichnet aus von einem inneren, fiebrigen Schmerz, der in flackernden Schatten durch seine Augen zog und ihnen Tiefe gab, sie noch ausdrucksvoller und … schöner machte.
    Dessislava seufzte, als sie ausgerechnet die teuerste Schickimicki-Truhe betraten. Das Licht drinnen sollte wohl ein gedämpftes Bordeauxrot sein, kam aber leider nur auf ein gedämpftes Bordellrot hinaus. Die beiden Verkäuferinnen passten sich dieser Spektralverschiebung formidabel an. Etwa dreißig Paar Schuhe waren auf vornehm bezogenen Postamenten ausgestellt, als handle es sich um eine Skulpturenausstellung. Christo machte nicht viel Federlesens, probierte der Reihe nach, was er als angemessen für einen Geschäftsmann betrachtete, und kaufte die zehn Paar, die ihm am besten passten. Im Vorfeld hatte er ihr gesagt: »Du musst mir beim Aussuchen helfen. Ich bin Sternzeichen Waage und schwanke permanent, bin dauernd unsicher. Ich brauche irgendwas, was zu meinem neuen Beruf passt.« Als er fertig war, reichte er ihr einen wunderschönen Damenschuh und sagte:
    Â»Nun komm, du hast mir doch versprochen …«
    Dessislava schluckte. Sie war drauf und dran, einfach zu gehen, die Tür hinter sich zufallen zu lassen und draußen, in der Kälte, auf ihn zu warten; aber sie konnte den Blick einfach nicht abwenden von diesen Stiefeletten, die so verführerisch aus knautschweichem, geschmackvoll gefälteltem Leder genäht waren. Sie zog sie an. Sie waren leicht und bequem wie Hausschuhe, nein, leichter und bequemer. Sie schaute sich im Spiegel an mit diesem Traum aus Leder, und war entzückt. Sie hätte sich die Haare ausrupfen mögen vor Begeisterung, aber erstmal probierte sie ein anderes Paar an, Veloursstiefel in Altrosa. Dann ein drittes Paar, straff, schlicht, aber dabei von großer Finesse und Eleganz, die wie um ihren Fuß herumgeschustert worden zu sein schienen. Danach … Ihr war ganz flau, und die Welt drehte sich ihr vor Augen.
    Â»Bitte nicht, mein Lieber, du weißt doch, ich schäme mich so …«
    Â»Du hast es mir versprochen, Dess«, sagte er, »dafür, dass ich dir deinen ganzen Nachmittag vermasselt habe, muss ich bezahlen. Reiche Leute haben kein Herz und keine Seele. Sie haben kühle Köpfe und müssen daher bezahlen.«
    Er saß auf dem Ledersessel und faltete die Hände vor der Brust, als wolle er beten. Dessislava war wirklich beklommen ums Herz. Es war eine rechte Prüfung. Die Verkäuferinnen konnten einfach nicht glauben, was da vor ihren Augen geschah, und der Neid stand ihnen ins Gesicht geschrieben. In ihren Köpfen schien es fieberhaft zu arbeiten. Ein Fotomodell war dieses blonde Wesen nicht, das hätten sie gekannt. Eine Popfolk-Sängerin auch nicht, dazu waren ihre Brüste zu klein. Was war es dann, dieses kleine unscheinbare Mädchen, das Zündhölzer hätte verkaufen können? Auf jeden Fall wurden diesem hübschen Nichts gerade Schuhe für drei Winter auf einmal spendiert.
    Â»Die sind … die sind so was von … Ich würde dein Angebot ja gern abschlagen, aber ich kann nicht mehr«, sagte sie wie vor den Kopf geschlagen.

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