Seelenasche
Schauspieler.«
»Morgen hab ich Probe für die Glasmenagerie ⦠Wie soll ich das nur hinkriegen, ich hab alles vergessen, alles weg! Bitte, Dess, sag mir, dass es nicht wahr ist.«
Der erste Teil von The Wall endete, und da niemand die Platte wechselte, begann das Stück automatisch wieder von vorn. Dessislava hatte das beklemmende Gefühl, Pink Floyd sängen über sie. Sie war es, die vor einer Wand stand, einer hohen, unüberwindlichen Wand.
»Wir werden auf jeden Fall Freunde bleiben, mein Lieber«, sagte sie.
»Das geht nicht«, schüttelte Simeon den Kopf. »Wenn wir uns scheiden lassen, dann kann ich dich nur noch hassen, Dess, nur noch hassen!«
17
Zu den Hüten war ein Lokal in der Nähe des Slawejkov-Platzes. Wände ohne Tapeten, Tische ohne Decken, ein Gasthaus ohne gastfreundliche Atmosphäre, in dem sich die Punker der Gegend trafen, eine Handvoll Rentner, an deren Revers noch immer Stalin-Abzeichen prangten, und ein paar intelligente Drogensüchtige, abgemagert und mit leeren, abwesenden Augen. Die Betreiber hatten einfach den Keller eines Mietshauses zur StraÃe hin geöffnet, und nun schaute man von drinnen durch die vergitterten Souterrain-Fenster auf Schienbeine und FüÃe der Passanten, auf eilende und nachdenkliche, solche in feinen Hosen und polierten Lederschuhen, solche in Lumpen und ausgetretenen Halbschuhen, auf Frauenbeine in Seidenstrümpfen und hochhackigen Schuhen, auf Beine, die nicht wussten, wohin an diesem Tag, auf Kinderbeine, die müden und unbeholfenen Beine alter Leute ⦠Einmal sah Dessislava sogar ein einzelnes Bein vorbeikommen, gefolgt von zwei Krücken. Das war ein sehr lehrreiches Schauspiel, dieses Schienbein-Kellertheater mit Bewirtung.
Maja und sie kamen hierher, weil die Atmosphäre so ungezwungen war. Man musste nicht darauf achten, welches Gesicht man machte, sondern konnte sich ungestört seinen Ge- oder Verstimmtheiten hingeben. Vor allem war der Kaffee hier gut; das war richtiger Kaffee mit Doppel-e â stark und schwarz. »Da rollen sich dir die FuÃnägel auf«, nannte Maja das schwärmerisch, und die Betreiberin, eine einstige Schönheit mit rundem, rotgeschminktem Mündchen, erklärte ihnen kokett: »Das Geheimnis guten Kaffees und guter Männer besteht darin, sie nicht zu kurz und nicht zu lange rösten zu lassen.«
»Hab drei Nächte nicht geschlafen«, sagte Maja. »Gestern Nacht war die Krönung, da bin ich von Mitternacht bis sechs Uhr früh im Zimmer rumspaziert, bis meine Vermieterin mit ânem Schlafmittel gekommen ist. Die dachte schon, ich dreh am Rad.«
»Und woher kommt diese Aufgedrehtheit?«, fragte Dessislava mehr aus Höflichkeit als aus Interesse. »Drei Nächte schlaflos, das ist â¦Â«
»Ich sagte doch: Gedanken! Vor lauter Nachdenken nicht schlafen zu können, und das auch noch wegen eigener Gedanken, das ist schon echt bescheuert.«
»Wirklich übertrieben!«
»Ãbertrieben? Pervers ist das, sag ich dir.«
Maja griff erst nach Dessislavas Tasse, um einen Schluck von deren Kaffee zu trinken, dann bediente sie sich auch bei den Zigaretten ihrer Freundin. Der Rauch kam ihr in die Augen, und sie zwinkerte niedlich. Sie war eine schöne Frau geworden, angenehm üppig und mit dem Selbstbewusstsein der gefragten Schauspielerin. Sie spielte ständig irgendeine Rolle: das unschuldige Mädchen, eine UDK-Abgeordnete, ihre GroÃmutter, als sie jung war, die Schlampe ⦠Dadurch vermittelte sie einem das Gefühl, sie habe geheime Sehnsüchte, kurz: sei eine geheimnisvolle Frau. Eigentlich war es Zeit, dass sie heiratete. An extravaganten Kandidaten, die ihr den Hof machten, mangelte es nicht, aber sie, sie war verliebt in ihren Bobby. Der aber hatte die Wende genutzt, um â ohne sie groà zu fragen â seine Bilder einzupacken und nach Kanada auszuwandern, um Geld zu verdienen, als Müllmann, wie Maja erfahren zu haben glaubte. Oder als Anstreicher? Na, das gab nicht viel her. Maja hielt ihm trotzdem die Treue; jedenfalls tat sie so, als ob sie auf ihn wartete. Manchmal, wenn sie es nicht aushielt, bekam sie einen Hassanfall, dann betrank sie sich vor seinem Foto an der Wand. Ein andermal, als sie irgend einen Hungerleider in das Chaos ihrer Wohnung einlud, drehte sie sein Bild mit dem angefressenen Lächeln gegen die Wand.
Sie arbeitete auf Honorarbasis an der
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