Seelenasche
»Schau dir doch nur mal an, wie gewissenlos, eitel und willenlos ich bin. Das grenzt schon an Schmarotzertum.« Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen wie eine Katze, die sich Milch vom Schnurrbart leckte. »Aber andererseits ⦠Aller guten Dinge sind drei ⦠drei Paar Damenschuh, und damit gibt die liebe Seele Ruh!«
»Und was ist mit den anderen beiden Paaren, die du anprobiert hast?«
Dessislava kratzte sich übers Näschen. Wer so schlecht vorbereitet in Geschäftsgespräche ging, durfte sich nicht wundern, wenn er stets nachgeben musste.
»Wo du es sagst ⦠Die beiden Pärchen wären jetzt sicher beleidigt, wenn ich ihnen die anderen vorziehen würde, nachdem ich sie doch ⦠wie soll ich sagen ⦠quasi ⦠Auf jeden Fall wollen wir ja vermeiden, dass die ein Drama aus der Sache machen, wenn wir gegangen sind.«
Als sie grob überschlug, was diese fünf Paar Stiefeletten kosten würden, kam sie auf einen Betrag, der in etwa dem entsprach, was ihr Vater, immerhin Professor, im ganzen Jahr an Rente bekam. Sie fühlte sich schuldig, aber auch ein bisschen wie Aschenputtel im Schloss. Christo bezahlte mit nigelnagelneuen Geldscheinen.
Vor seinem BMW hatten sich derweil zwei Polizisten aufgebaut und tankten Kälte. Es war nun fast dunkel, klebrige Schneeflocken schwebten herab. Trotzdem trugen die Ordnungshüter Sonnenbrillen. Sie schauten auf die Tüten in der Hand der Herauskommenden und spürten alsbald, dass sie nicht umsonst würden gewartet haben.
»Gehört der Wagen Ihnen, mein Herr?«, fragte mit gespielter Strenge und ernstem Gesicht der Ãltere der beiden.
Christo wühlte in der Seitentasche seines Jacketts, holte zwei der gröÃeren Banknoten heraus und steckte sie dem Polizisten in die Uniformjacke. Der erklärte auch gleich dienstbeflissen:
»Sie glauben ja gar nicht, was hier alles an dubiosen Gestalten rumläuft, und nicht nur Zigeuner, auch andere ⦠Die klauen Ihnen die Scheibenwischer und alles, was nicht niet- und nagelfest ist an Ihrem Bayern. Na, da dachten wir: Kollege, das schauen wir uns doch mal besser aus der Nähe an!«
Beim Einsteigen gingen automatisch Radio und Klimaanlage an. Es roch erlesen nach feinstem Leder, nach Teuer, nach Neu und nach unerreichbaren Träumen.
»Ich hatte wirklich keine Schuhe mehr«, sagte Dessislava still und glücklich.
»Ich auch nicht.«
»Und die hier, die sind einfach ⦠ein Traum!«
»Freut mich.«
Auf rutschigen Wegen umrundeten sie den Nationalen Kulturpalast, sahen zur Linken das abstrakte Denkmal zum 1300-jährigen bulgarischen Staatsjubiläum und bogen dann rechts in den Patriarch-Ewtimi-Boulevard ein. Dessislava versuchte, ihre moralische Entrüstung zu mobilisieren, um dieses teure Automobil im Namen der sozialen Gerechtigkeit hassen, wenigstens verachten zu können, aber es gelang ihr nicht. Als sie die StraÃenbahnlinie an der Graf-Ignatiev-StraÃe überquert hatten und links abgebogen waren, hielt Christo im Innenhof des Mietshauses gegenüber Siebenheiligen, in dem er wohnte, und sie fragte:
»Ist das eigentlich deiner, dieser BMW?«
»Ja, sicher.«
Beklommenes Schweigen folgte.
»Und du bist wirklich so reich, dass du �«
»Das weià ich selber noch nicht so genau.«
Sie spürte, dass er wirklich meinte, was er sagte, und nicht nur den Bescheidenen spielte.
Sie nahmen nur die Tüten mit seinen zehn Schuhkartons, um sie hineinzutragen; später würde er sie noch nach Hause fahren. Auf der Treppe dachte sie: Es ist wirklich ganz schön schwer, reich zu sein, besonders wenn du auf der fünften Etage wohnst.
Auf der Schwelle zur Wohnung stolperte sie, kam mit den Einkäufen kaum über die Schwelle ins Entree. Sie hatte den spezifischen »Stallgeruch« von Christos Zuhause seit Kindertagen in der Nase, mit den drei Männern, gegen die sich eine Frau, die auch noch von der Natur mit einer Ãberdosis Anständigkeit geschlagen war, zu behaupten versuchte, indem sie alle tadellos versorgte, auch wenn sie nicht einverstanden war mit dem, was diese Männer anstellten.
»Komm doch rein«, sagte er strahlend. »Mama ist gestern aus dem Krankenhaus entlassen worden und möchte dich sehen.«
Seine Hände, kräftig und doch sanft, nahmen ihr den Mantel ab, sein Atem berührte sie, sein Geruch nach Mann und nach
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