Seelenasche
Männerparfüm, nach Geheimnis. Sie folgte ihm und seinem Lächeln, aufgespannt von seiner Ãberlegenheit und seiner Unterwerfung vor ihr.
Im Schlafzimmer war es leise, weià und leise. Abgemagert und so mit den Laken verschmolzen, als wäre sie nur eine Falte der Decke, sah sie beim Eintreten ihre Tante Ljuba ein Buch lesen, das sie sichtlich nur mit Mühe hochhalten konnte. Auf dem Kopf trug sie ein Strickmützchen, wohl weil ihr von der Chemotherapie das Haar ausgefallen war. Sie erhob sich scheu und schaute Dessislava ängstlich an, um zu prüfen, was die gesehen hatte, fand es aber nicht heraus. Dann wandte sie ihren Blick Christo zu, um bei dem nachzuforschen, und seufzte. Sie war am Ende ihrer Kräfte, am Ende dieses verwirrenden Netzes aus Wegen und Irrwegen, das wir Leben nennen. Das Buch rutschte ihr leise aus der Hand.
»Hallo, Dessi.«
»Siehst gut aus, Tante Ljuba.«
»Da seid ihr ja endlich.«
»Haben zwanzig Minuten länger gebraucht«, sagte Christo.
»Zwanzig Minuten sind für manchen viel Zeit.«
Sie hob den Arm, vergaÃ, wozu sie ihn erhoben hatte, hatte vielleicht einfach keine Kraft mehr, lieà ihn fallen. Ihr schien etwas wehzutun. Alles schien ihr wehzutun. So weh, dass es ihr den Verstand raubte, sie taub und empfindungslos machte.
»Ja, zwanzig Minuten können wirklich viel Zeit sein«, kam ihr Dessislava zu Hilfe und war froh, dass der Anblick nicht jenes tränendrüsige Mitgefühl in ihr weckte, das es dem Kranken noch schwerer macht.
Christo schaltete das Licht ein, zog die Vorhänge vor und ging hinaus, um die Injektion vorzubereiten. In der Helligkeit schien die WeiÃe der Laken, die WeiÃe der Wände, schien das ganze Zimmer zur Bewegungslosigkeit zu erstarren.
»Es wird schon wieder«, zwang sich Dessislava zu sagen, und schämte sich gleich darauf für diesen unsensiblen Spruch.
»Aber natürlich wird es das â¦Â« Das, was von der Frau geblieben war, lächelte ihr zu. Ihre Lippen flackerten wie eine Kerzenflamme. »Nur eines bedrückt mich: dass Christo keine Frau gefunden hat. Wem soll ich ihn denn überlassen? Er kann sich ja nicht mal einen Knopf allein annähen.« Ihre Augen hatten den trügerischen Glanz des Morphiums angenommen.
»Es ist ja noch nicht zu spät für ihn mit fünfunddreiÃig Jahren!«
»SiebenunddreiÃig«, verbesserte Ljuba ihre Nichte.
»Ach, richtig, wir sind ja nur drei Jahre auseinander«, versuchte Dessislava sich herauszuwinden.
»Seltsam ⦠Ich habe ihn nie mit einer Frau gesehen.«
»Wen?«, fragte Dessislava begriffsstutzig.
»Na, den da, meinen muffeligen Sohn. Seit seiner Studienzeit hat er kein Mädchen mit nach Hause gebracht! Anfangs war ich nur besorgt, aber seit ich krank bin, bin ich richtig beklommen.«
Sie schwiegen wie Frauen, die eigentlich nicht gern klatschten, aber durch die Umstände gezwungen waren, etwas Unangenehmes, vielleicht gar Kompromittierendes über ihren besten Freund herauszufinden.
»Entschuldige, Dessi, dass ich so beharrlich frage, aber er redet ununterbrochen von dir, immer nur von dir â ihr scheint also enge Freunde geworden zu sein. Hat er dir gegenüber vielleicht etwas angedeutet?«
»Christo ist introvertiert und spricht nicht gern über sich«, antwortete Dessislava gedehnt, weil ihr zugleich und auf einmal bewusst wurde, dass sie mit Christo tatsächlich immer nur über ihre Probleme sprach. »Soll ich ihm mal etwas auf den Zahn fühlen, Tante Ljuba?«
»Versteh mich nicht falsch: Ich will ihm nicht nachspionieren, ich will einfach nur zur Ruhe kommen. Du hast ja keine Vorstellung, was für ein guter Junge er ist, gut, schüchtern und unpraktisch. Ich hoffe nur, er kommt nicht unter die Räder. Allein kommt er aber unter keinen Umständen klar. Ich möchte einfach wissen, dass er in guten Händen ist.«
»Ich rede mal mit ihm.« Dessislava konnte es kaum ertragen, zuzusehen, wie die Frau im Bett von Schmerz und Leid verzehrt wurde. »⦠und diffundiere mal ein bisschen in seine Seele.«
»Diffundieren â das hast du schön gesagt«, versuchte Ljuba ein Lachen, »nicht drin rumschnüffeln, sondern ⦠na, eben diffundieren.«
Sie hielt sich am oberen Ende des Kopfkissens fest und zog sich mühevoll hoch. Dann streckte sie die Hand aus und versuchte Dessislava zu berühren,
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