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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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tödlich. – Wie, tödlich? – Nun, eben bei einem Unfall mit Todesfolge.
    Â»Nun quäl dich doch nicht«, stöhnte Dida wieder auf. »Warum erzählst du mir all das?«
    Die Hitze des Sommers draußen. Das gedämpfte Winterlicht in der Morgue, des letzten aller Winter, wie der Geruch nach Formalin, die durchdringende Kühle der stehenden Luft und die nackten Leiber bewiesen, denen keine Kälte mehr etwas anhaben konnte. Die herabhängenden Glühbirnen ohne Schirm, dann die ruhig, in seltsam erhabener Erlösung daliegende Neda mit ihrer letzten, blassesten Schönheit, ihrem durchsichtigen Leib, von dem, weißt du, von dem Licht ausging, ein letztes Licht zum Abschied.
    Â»Warum erzählst du mir das alles? Als ob ich daran schuld wäre!«
    Â»Warum hab ich das alles heute früh geträumt?«, fragte er schroff, verletzend, bohrend zurück, so als wisse Dida die Antwort, verberge sie aber vor ihm. »Verstehst du, Neda war wie lebendig, nur eben, dass sie gegangen war!«
    Â»Ja, sicher kannte ich dich schon damals«, verteidigte sich Dida voller Schmerz, »hab halt auch gern deinen Runden Tisch geschaut, und wie meine Schwester keine Folge verpasst. Aber ich kannte dich doch gar nicht persönlich, wie soll ich jetzt an so was schuld sein? Warum erzählst du mir das alles?«
    Â»Quäl dich nicht«, erwiderte er untröstlich.
    Als sie das Levski-Stadion passierten, blieben sie gleichzeitig stehen, abrupt, im Gefühl von etwas, das beide ahnten, aber keiner aussprach. Jordan hielt ihr einfach plötzlich seine Blumen und die Tüte mit den Alkoholika hin und sagte:
    Â»Ich kann nicht mit zu deiner Schwester kommen! Ich weiß den Grund dafür nicht, aber … ich kann einfach nicht.«
    Â»Aber … die beiden erwarten uns.« Dida blieb die Luft weg, und sie musste ihre Tränen herunterschlucken. »Weißt du, wie sie dich lieben?«
    Â»Ich weiß«, sagte er, »sie haben extra für mich einen Truthahn gebacken, mit Kastanienfüllung.«
    Sie waren allein auf der Straße. Die Ampel blinkte auf Gelb. Sie waren so allein, dass es einfach keinen Weg gab, wie sie sich trennen sollten.
    Â»Und was nun?«
    Â»Komm mit zu uns«, schlug Jordan bösartig vor.
    Dida begann zu zittern, wie tags zuvor … aber sie gehorchte. Sie gingen zurück zur Ignatiev-Straße und waren binnen zehn Minuten vor ihrem Mietshaus in der Ljuben-Karawelov-Straße. Im Hausflur roch es nach Trockenobst, gebackenem Schweinefleisch mit Sauerkohl, nach bulgarischer Weihnacht … Die Fliesen der Treppe verstömten Kälte, Kälte, die nicht wegkonnte und einen daher in die Zange nahm. Emilia öffnete ihnen.
    Â»Ja, Jordan …« All ihre Schauspielerfahrung half ihr nicht, die Überraschung zu verbergen, die sein Auftauchen bei ihr auflöste, erst recht, als sie die junge Frau neben ihm sah. »Oh, du bist in Begleitung … Aber kommt doch herein! Junges Fräulein … bitte sehr!«
    Die ganze Familie saß um den Esszimmertisch, auf dem sich eingelegte Gemüse und feingeschnittene Dauerwürste häuften. Auch hier gab es Puter, aber nicht mit Maronen-, sondern mit Kohlfüllung, Piment und Lorbeerblatt. In seinem wollenen Hausmantel hatte sein Vater seinen Platz am Fenster eingenommen, alt geworden und mit schlohweißem Haar. Neben ihm saß mit ihrem Schmollmündchen Jana, Jordans kleine Tochter, die in die Höhe geschossen war und schon erste Züge weiblicher Reize entfaltete. Es folgte Dessislava, wie immer mit ihrem wissenden Lächeln und schon ersten Anzeichen jener Versonnenheit, die einst Jonka ausgestrahlt hatte, und bei der man immer dachte, sie schaue auf einen Wasserspiegel oder in einen Brunnen, den Brunnen der Vergangenheit, aus dem zugleich auch mancher Tropfen Zukunft mit heraufgezogen wurde. Alle hoben überrascht die Köpfe und starrten die beiden Neuankömmlinge nicht einfach nur wie Fremde, sondern wie Außerirdische an, die einfach hineinplatzten in das intimste aller Familienfeste. Dida trug ein schwarzes Seidenkostüm, dessen Strenge seltsam mit ihrem quirligen Fuchshaar kontrastierte und es dunkler machte, sein irreales Funkeln milderte. Mager, aber grazil und fein, glich sie Neda so verblüffend, dass es allen am Tisch die Sprache verschlug. Die Kerze flackerte.
    Â»Das ist Daniela«, stellte Jordan spürbar angespannt vor. Und sein Vater

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