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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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hereinbrechenden Dämmerung.
    Â»Du erbärmlicher Profiteur, schändlicher Draufgänger, Henkersknecht, du …«, winselte sie, während sie sich wand wie eine Schlange bei der Häutung, die sich beeilte, fertig zu werden und ins rettende Gebüsch zu verschwinden. »Ach, mein Liebster, hast du mich endlich bemerkt, mich gesehen, endlich mal an mich gedacht?«
    Als die Feuer verglommen waren, war es schon Nacht, und er roch den Duft nach Maiglöckchen, nach gestilltem Schmerz, melancholischem Glück. Das Heizgerät arbeitete wütend und gab dabei idiotische Kicherlaute von sich. Die Laken waren immer noch klamm und kalt. Dida hatte ihren Kopf auf seine Brust gelegt, als wolle sie sein Herz abhören, nein, als wolle sie direkt von seinem Herzen ablesen, was es fühlte.
    Â»Es war, weißt du, mit dir, es war wirklich …«, flüsterte sie verträumt, »aber bitte, nenn mich nie wieder Neda!«
14
    Zu Weihnachten schneite es erneut. Dicke Flocken fielen und verpassten der Stadt eine Art chemischer Reinigung, denn Straßen, Dächer und Dämmerungen schimmerten weiß. Die Luft wurde vom schmierigen Smog befreit und begann, nach »gesunder Kälte« zu duften, nach Frost, nach Schlittenfahrt und Kindheit. Die Stadtverwaltung wurde von den ausgiebigen Schneefällen wie immer ȟberrascht«, nicht einmal die großen Boulevards wurden geräumt. Die Straßenbahnen kamen nicht mehr durch, die Verkehrsunfälle häuften sich, aber die Polizisten hatten Wichtigeres zu tun, als sie aufzunehmen. Die Autofahrer schimpften und fluchten wie die Henkersknechte, und das am Fest von Christi Geburt. Gottes Wort war Fleisch geworden, um sich in Leiden zu verwandeln und sich dadurch unvergesslich ins menschliche Gedächtnis einzuprägen.
    Im Blumengeschäft auf der Graf-Ignatiev-Straße hatte Jordan fünf weiße Gladiolen gekauft, in seiner Tüte befanden sich auch noch eine Flasche schottischen Whiskys und eine Flasche Sekt. Dida und er hatten sich am Patriarchen-Denkmal verabredet und machten sich von dort langsam auf den Weg zur »großen Dida« und ihrem Mann. Taxis fuhren keine bei diesem Wetter, und bis zur Wohnung von Didas Schwester, die sich ein ganzes Stück hinter dem Hotel Pliska befand, war es weit. »Seit zwei Wochen bereiten die sich auf unseren Besuch vor«, hatte die kleine Dida ihm erzählt. »Mein Schwager ist Gastronom und ein richtig guter Koch, er will Pute mit Kastanienfüllung machen.« Sie hakte sich bei ihm ein und schmiegte sich an ihn. Ihr ungehorsames Lockenhaar hatte sie unter der Kapuze ihres Mantels gebändigt. Sie lächelte mit jener Versonnenheit, die nicht aus Berechnung oder Zurückhaltung kommt, sondern einfach aus Glück. Da aber konnte er sich nicht länger beherrschen und begann im vollen Bewusstsein, wie hart, ja, grausam das für sie zu hören sein musste, ihr von dieser Vision zu erzählen, die sich gleichsam durch einen Spalt in der Zeit gezwängt hatte, ungerufen und unerwünscht. Er hörte Simas Stimme, wie sie die laufende Sendung unterbrach: »Die Polizei hat hier angerufen, Weltschev, und gemeint, Neda, deiner Frau sei etwas zugestoßen; sie meinten, es sei wichtig.« Er sah sich in den überfüllten Omnibus einsteigen und eingequetscht zwischen verschwitzten Leibern, Schubsen und Rempeln, billigem Rasierwasser auf ungewaschener Haut und dem Geruch dessen, was die Menschen in schweren Taschen vom Markt nach Hause trugen, zur ermittelnden Polizeidienststelle fahren. Er sah das Zimmer des Polizeibeamten mit dem Rollschrank und dem Wecker, der mechanisch und sinnlos weiter vor sich hin tickte, wie um seiner Verwunderung darüber Ausdruck zu geben, dass die Zeit für Neda stehengeblieben war und nun nur noch außerhalb von ihr weiterging.
    Â»Quäl dich nicht«, versuchte Dida ihn zu bremsen. An der Kondenswolke vor ihrem Mund erkannte er, dass sie beschleunigt atmete. Sie gingen nun schon am Perlowo-Kanal Richtung Adlerbrücke, wo die lange Chaussee begann.
    Aber Jordan konnte nicht aufhören: Er sah den Uniformierten am Einlass zur Polizeidienststelle, der sich vor seiner Bekanntheit, seiner Medienpräsenz unterwürfig verbeugte, und das verlegene Lächeln des ermittelnden Beamten, der ihm seine Anteilnahme in unbeholfenen und banalen Worten bekundete. Neda, seine Frau, sei auf dem Weg zurück nach Sofia verunglückt,

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