Seelenasche
lieà und in den sie versank wie in heiÃen Teer. Alles, alles tat ihr weh. Dann vermeinte sie auf einmal, aus der heiÃen, klebrigen schwarzen Masse heraus- und hineingesogen zu werden in einen engen Tunnel. An dessen Ende erblickte sie ein unbeschreibliches, ein verlockendes, ein überirdisches Licht, warm und bergend wie jene Heimat, in der kein Lebendiger je war.
Sie taumelte, knickte ein, fiel. Emilia war nicht besiegt; sie war einfach nur tot. Die Stenotypistin stöhnte auf. Der andere Schöffe sank in sich zusammen und legte instinktiv den Unterarm auf seine Leber. Die beiden anwesenden Polizeibeamten rannten zu der Gefallenen und erstarrten. Die Augen Richter Momtschevs aber blieben leer, stumpf; keinerlei Milde, nicht ein Funken Mitgefühl blitzte in ihnen auf, nur ein kurzes Erschrecken, das aber rasch von kaltem Ekel abgelöst wurde.
»Was steht ihr da untätig herum«, blaffte er die Uniformierten an, »schafft sie raus, aber dalli!«
Die Männer zögerten, beugten sich nur furchtsam über Emilias Leiche. Dann packte der eine sie an den Handgelenken, der andere an den Knöcheln, und sie schleiften ihren noch unerlösten Leib fort. Sie machten sich nicht die Mühe, sie anzuheben, sodass ihr Kopf über den Boden rutschte und bei unebenen Marmorplatten kurz hochsprang. Das weizenblonde Haar fegte den Boden, kehrte Zeitungsschnipsel, verbrannte Streichhölzer, einen achtlos ausgespuckten Kaugummi und sogar einen bulgarischen Pfennig zusammen.
5
Noch zehn Minuten bis zum Termin mit Umweltminister Iwailo Kanev, einem Mann, der von der messianischen Idee besessen zu sein schien, die in rücksichtlosen Industrialisierungsanstrengungen der sozialistischen Jahrzehnte malträtierte Natur Bulgariens zu retten. Sein Lächeln war immer betreten, so als wolle er sich dafür entschuldigen, dass es ihn gab. Sein verschleierter Blick wich dem Gegenüber aus, als habe er etwas zu verbergen. Wer aber länger hinsah, konnte darin auch eine Verschlagenheit entdecken, die verriet, dass Kanev nicht von gestern war, sondern schnell kalkulierte, und nicht um Peanuts. Christo wollte ihm die Erlaubnis zum Bau einer »hübschen, lauschigen Ferienanlage« an den wilden, unberührten Ufern des Flusses Ropotamo abluchsen, mitten in einem Naturschutzgebiet. Er konnte diese Erlaubnis gegen eine zehnprozentige Spende an Kanevs Partei und zwei, drei Prozent für diesen persönlich bekommen. Christo schlug vor, ihn im Ministerium zu besuchen, aber der »verehrte Herr Minister« zog es vor, in seine Geschäftsräume zu kommen. Dort war es leichter, auÃer dem Versprechen auf ein gut gefülltes Bankkonto auch die »kleinen Geschenke unter Freunden« entgegenzunehmen, die Christo besorgt hatte: eine Schweizer Uhr aus purem Gold und eine echte holländische Meerschaumpfeife, die allein schon über tausend Dollar gekostet hatte.
Christo drückte auf das Knöpfchen fürs Vorzimmer und sagte seiner Sekretärin, dass er in diesen zehn Minuten von niemandem gestört werden wollte. Er nippte an seinem erkalteten grünen Tee und schlug die neue Ausgabe der Zeitung 24 Stunden auf. Er liebte diese Minuten der Zeitungslektüre. Manchmal überraschten ihn die Blätter mit ihrer Schadenfreude und ihrer Käuflichkeit, meist aber ergötzten sie ihn mit ihrem gespielten Engagement, ihrem »kompromisslosen« Eintreten für die Belange des armen, gebeutelten Mannes von der StraÃe , wobei sie vor keiner Platitüde zurückschreckten; überdies informierten sie ihn zuverlässig über Klatsch der Marke »wer mit wem«, was für seine Geschäfte von weitaus gröÃerer Bedeutung war als die Kenntnis der Börsennotierungen oder des Dollarkurses. Die erste Riege der Blitz-Millionäre war zu dieser Zeit schon wieder in der Versenkung verschwunden, nachdem sie das betrügerisch Erworbene mit protzigen Häusern, teuren Autos und üppigen Gelagen verjubelt hatten. Inzwischen waren die Millionäre der dritten Generation am Werk, die sich als Erstes von ihren alten Frauen scheiden lieÃen, die ihnen ihr ganzes Leben lang die stinkenden Socken und schmutzigen Unterhosen gewaschen hatten, und sich mit ihren jungen Sekretärinnen oder den Siegerinnen von Schönheitswettbewerben wie »Miss Badeanzug« oder »Bulgarisches Topmodel« verbandelten, deren Beine bis zum Hals reichten. Dieser ganze unaufhörliche
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