Seelenasche
Schickimicki-Glitzer mit seinem besinnungslosen, aber enthusiastischen Verplempern der zusammengeklauten Millionen, von dem man in den Klatschspalten lesen konnten, gab ihm aber eine genauere Vorstellung davon, wie das Geld im Lande verteilt war und wo in der Provinz gerade eine Bande die Macht ergriff, als alle Wirtschaftsanalysen der seriösen Medien zusammen.
Schon beim Umblättern fiel Christos Blick auf eine Nachricht, die nicht sensationslüstern aufgemacht, aber gut sichtbar auf der dritten, der meistgelesenen Zeitungsseite eingerückt war. Im Reiche-Leute-Viertel Losenetz war ein Mann im Alter von etwa sechzig Jahren ermordet worden. Nichts Besonderes eigentlich; derlei Begleichen von Rechnungen spielte sich â und nicht bloà verborgen in der Unterwelt, sondern am helllichten Tage â ununterbrochen ab. Christo war schon drauf und dran, weiterzublättern und die Einzelheiten des Verbrechens zu übergehen, da las er zufällig den Namen des Ermordeten: Petrov. Ein Allerweltsnamen eigentlich, doch in Kombination mit der StraÃe, auf der der Mord verübt worden war, unfehlbar: Der Mordanschlag hatte auf der â BiglastraÃe stattgefunden. Und als er sich das Foto des Mannes ansah, so unscheinbar wie sein Name, zuckte er im Erkennen zusammen. Es war der vor einem Jahr im Rang eines Oberstleutnants pensionierte, langjährige Mitarbeiter der Staatssicherheit Peter Petrov. »Für den rätselhaften Mord«, meldete der fette Einleitungstext des Artikels, »gibt es keine erkennbaren Motive oder nachvollziehbaren Gründe, und doch wurde er eindeutig von Profis verübt.« Dieses Fehlen eines Tatmotivs in Verbindung mit der Präzision des tödlichen Schusses erschwere die Ermittlungen, man arbeite aber an drei einander überlappenden Versionen des Tathergangs.
Daran, dass die Berufskiller Petrov aus dem Hinterhalt aufgelauert hatten, zweifelte Christo keine Sekunde, denn Petrov war ja kein Naivling. Aus dem Schatten einer Akazie waren lediglich zwei Schüsse aus einer Makarov-Pistole abgefeuert worden, wobei der zweite Schuss schon ein Sicherheitsschuss direkt in den Kopf gewesen war. Am nächsten Morgen hatten die Beamten am Rande des Stadtteils Slatina einen roten Audi entdeckt â oder besser gesagt das, was von diesem nach dem Abfackeln noch übrig war. Dieser Audi war eine Woche zuvor in Plowdiv gestohlen worden. In der Zeitungsmeldung stand noch, dass der Ermordete keine Feinde gehabt und zur Aufbesserung seiner Rente einen StraÃenstand mit gebackenen Kürbishälften und gerösteten Kürbis- und Sonnenblumenkernen betrieben habe. Die Nachbarn hätten über den Mann gelächelt, der gemeint hatte, sich dadurch etwas hinzuverdienen zu können. Das Fehlen jedweden rationalen Motivs verstörte die erfahrenen, mit dem Fall betrauten Kriminalbeamten. Nur um etwas zu sagen, wurde die Version lanciert, dass der Boss einer der beiden groÃen kriminellen Vereinigungen sich gerächt habe dafür, dass der Beamte ihm vor seiner Pensionierung wohl seine Drogenabsatzkanäle angetastet habe, aber Christo wusste nur zu gut, dass Oberstleutnant Petrov sich nie mit der organisierten Kriminalität befasst hatte, weder mit ihren Häuptlingen, die in Bulgarien sogar kleinen Kindern schon namentlich bekannt waren, noch mit ihren Strukturen.
Er holte die Schweizer Uhr aus ihrer Samtschatulle, zog sie versonnen auf und erinnerte sich dabei an die schlichten, aber wahren Worte des Ermordeten, dass manchmal die plattesten Dinge die wahren seien. Folglich, durchfuhr es Christo, musste die Erklärung, die auf der Hand lag, die wahre sein: Der arme Petrov hatte etwas gewusst, womit er jemandem gefährlich werden konnte. Als Minister Kanev bereits sein Büro betrat mit dem schuldbewussten Lächeln des kleinen, ertappten Taschendiebs, kam ihm die Erleuchtung, dass Petrov in jahrelanger, enger Zusammenarbeit mit General Grigorov ja nicht nur dies und das wusste, sondern ⦠alles .
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Es war sein Geschick, sein bitteres Los, andauernd jemand anderes, von sich selbst geschieden zu sein. Oder â genauer gesagt â weder er selbst noch der andere, sondern ein Dritter, der unbehaust zwischen beiden hin- und herirrte. Anfangs tat ihm diese innere Entzweiung weh, weil er zu eng für sie war, sodass seine Seele ständig Beulen, Schwielen und blaue Flecken bekam. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich auszudehnen, so viel anderes,
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