Seelenasche
ans Glas, wäre beinahe umgefallen.
»Mariana hat mir dasselbe gesagt«, murmelte er schlieÃlich gedrückt.
»Wie â âºdasselbeâ¹? Ich versteh dich nicht.«
»Sie hat sich auf ihre weibliche Intuition berufen und behauptet ⦠du wärst verliebt in mich!«
»Ich? Bist du verrückt?«
»Mariana meinte, du bräuchtest mich gar nicht mit den Augen anzuschauen, du würdest mich auch so sehen.«
»Ach«, stöhnte Dessislava.
Christo lächelte verloren. Dessislava spürte, dass auch er erschrocken war. Sein Herz schlug bis zum Hals, pochte ihm in den Schläfen. Und wieder diese unerklärliche Angst, dass ihm bald etwas zustoÃen könnte. Der Traum fiel ihr wieder ein, in dem ihr Jonka erschienen war, am nachtschwarzen Fenster sitzend, und ihr gesagt hatte, sie solle keine Angst vor der Liebe haben. Damals hatte sie heftig widersprochen. Was war, wenn Jonka doch recht hatte?
Ohne es gewahr zu werden, stand sie auf, Christo tat es ihr gleich. Zwischen ihnen nur das flackernde Lebenslicht der Tischkerze. An Christos Hals sah sie auf einmal einen unrasierten Fleck, nicht gröÃer als eine Münze. Der sah wie eine Schusswunde aus, ein dunkler Ort der Verletzbarkeit, ein Schwachpunkt seiner Männlichkeit. Da auf einmal erkannte sie ihn . Sie taumelte, hielt sich an ihm fest, dann fanden ihre Lippen zu genau diesem unrasierten Fleck und pressten sich darauf wie eine Kompresse auf eine Wunde, eine Wunde aus Bedrohung, einer Bedrohung, die nur auf den geeigneten Moment lauerte, um ihn zu liquidieren. Dann brach es ungläubig aus ihr heraus:
»Oma Jonka hatte recht, sie hat es mir gesagt: Ich liebe dich!«
Sie hatten keine Kraft mehr, aufrecht zu stehen. Sackten auf die Ledercouch. Umklammerten sich schwer atmend, als wären sie all diese Jahre gerannt wie der Nackte auf der StraÃe, nur dass sie kein Blutdruckmessgerät am Arm hatten. Seine Stimme raunte wie eine streichelnde Hand, weil die Hand selbst zu furchtsam war. Und dann erzählte ihr seine Stimme, wie er sie vor vielen Jahren am Meer, in Sosopol, beim Sonnenbaden gesehen hatte, auf der Klippe zum Meer, auf der Klippe seines Lebens.
»Das war der Point of no Return, das war der Moment, in dem mein Verstand überwältigt wurde und du wie ein Brandzeichen in meine Seele eingeprägt wurdest.«
»Aber wir sind miteinander verwandt?!«
»Zweiten Grades«, schwächte er ab.
»Das ist Inzest, was wir machen, das ist der reinste Wahnsinn!«
»Nein, nicht wirklich. Das Gesetz erlaubt schon Cousin und Cousinen ersten Grades, in Ausnahmefällen zu heiraten. Und wir sind es zweiten Grades, ein groÃer Unterschied.«
Er klammerte sich an diese Worte wie an schmerzstillende Tropfen. Seine Lippen strichen untröstlich, begierig und besinnungslos über ihren Hals. Die Kerze gab einen leisen Platzlaut von sich.
»Ich bin dann ins Wasser gesprungen und geschwommen, bis es dunkel wurde, drauÃen und drinnen in mir. Aber das habe ich mir und meinen Schuldgefühlen unablässig eingehämmert: Verwandte zweiten Grades!!«
»Ich bin damals auf dem Felsen stehen geblieben und habe einfach auf dich gewartet. Damals wusste ich es noch nicht ⦠Ich fühlte nur, ich würde nicht von der Stelle weichen, bis du wieder zurück wärst.«
Christo antwortete mit einem tiefen Seufzer.
Da kam Dessislava die Erleuchtung, und sie kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel:
»Wir haben keine Zeit«, sagte sie, löste sich aus seiner Umarmung und blies die Kerze aus, »verstehst du, Liebster, wir haben keine Zeit!«
Â
9
Kopflos rannte sie durchs Haus, schlieÃlich fand sie ein Bad, zog sich rasch aus und stellte sich unter die Dusche mit dem Gefühl, sich unwiderruflich zu verspäten. Ihr Körper zog sich zusammen in gespannter Erwartung, man konnte auch sagen, er entkörperte sich, wurde zu Licht. Gleichzeitig sah sie mit gröÃter Klarheit, wenn sie dem Wasserstrahl folgte, der an ihr herunterrann, dass sie eben nicht mehr die Nixe war, die damals auf der Klippe gelegen hatte. Ihre Brüste waren schwerer und weicher geworden, ihre Schenkel nicht mehr so straff und seidig, ihr Schweià roch, ihr Bauch zeigte Spuren von Orangenhaut, Fettdepots, Falten. Da kam die Angst wieder, und in diese Angst mischten sich wachsendes Bedauern über all die Jahre, die Christo und sie verloren hatten, und ⦠Scham. Als sie,
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