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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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– das gemeinsame Flüchten aus dem Haus bei den gelegentlichen Erdbeben. Verschlafen und beinahe transparent, würde sie eine Schnute ziehen, weil er sie des Vergnügens beraubt hatte, ihm das Kotelett von gestern aufzuwärmen. Jetzt musste sie ihm ein Brot mit gekochtem Schinken und einer zusätzlichen Scheibe Käse machen und obendrauf der Mayonnaise ihrer Gleichgültigkeit.
    Neda war Aspirantin am Institut für Soziologie und durch geheimnisvolle Umstände (»An allem bist du schuld!«) zu einer glühenden Anhängerin der Ideen des amerikanischen Psychoanalytikers Erich Fromm geworden. Seine Bücher Die Furcht vor der Freiheit und Gesellschaft und Seele hatten sich in Grundzüge ihres Denkes verwandelt; die dezidierten Verbindungslinien zwischen seiner Lehre und dem Zen-Buddhismus berauschten sie geradezu. Sie sprach über diese Dinge fast nie mit Jordan, doch aus einer ihrer seltenen Eröffnungen hierzu hatte er eine der zentralen Thesen behalten: »In der Liebe verwirklicht sich das Paradox, dass zwei Wesen eins werden, und dabei doch zwei bleiben.« Als Grundkomponenten wahrer Liebe nannte Fromm: Fürsorge, Verantwortungsgefühl, Wertschätzung, einander kennen. Indem sie sich durch derartige deduktive Theorien vor dem Kontakt mit allem Wirklichen abriegelte und ihre Seele mumifizierte, blieb Jordan vollkommen außen vor. Er und Neda waren zwei Wesen und blieben zwei Wesen, die nie zu einem wurden. Was Fürsorge und Verantwortungsgefühl anbetraf, die reservierte sie gänzlich für ihre Tochter Jana, und die Wertschätzung und das Einanderkennen für ihre »erleuchteten« Brüder und Schwestern im Geiste. Manchmal, wenn er nicht an seiner nächsten Sendung arbeitete, hatte Jordan das komische Gefühl, dass er Neda zum ersten Mal begegne; es fehlte aber eine dritte Person, die so freundlich war, sie einander vorzustellen.
    Neda hatte vorwiegend Umgang mit Psychiatern, die, um interessant und modern zu sein, sich auf die Psychoanalyse verlegt hatten. Den Kontakt zu ihnen aufgenommen hatte sie nicht, weil sie so exzentrisch war, sondern weil sie unterbewusst Respekt vor der Größe des Wahnsinns hatte und dabei ihrem Instinkt folgte. Die meisten waren noch recht junge, hochintelligente Männer mit Protestvollbärten, die ständig unausgeschlafen wirkten und gesellschaftlich nicht anerkannt waren. Sie hatte sie Jordan sogar vorgestellt, und sie hatten ihn betrachtet mit jenem überlegenen professionellen Verständnis, das den pathologischen Fall, hier: die Persönlichkeitsdeformation durch Popularitätsschock , sofort erkannte. Er wiederum sah in ihnen typisch neurotische Verlierertypen, die aus der Not eine Tugend machten. Die Nähe zu einem Menschen verlockt uns, ihn nachzuahmen. Leute, die über lange Zeit zusammenleben, beginnen einander sogar physiognomisch zu gleichen. Jordan war ein Symbol für das Fernsehen, sie eines für den Wahnsinn – zwei Phänomene, die auf den ersten Blick so verschieden und zugleich in ihrem Wesen doch so erstaunlich verwandt waren.
    Er verachtete Nedas Psychoanalytikerfreunde. Und sie, mit ihrer Gewohnheit, alles zu verzeihen außer der Normalität, hassten ihn auch. Wenn er gerade nicht auf der Mattscheibe zu sehen war, kam er ihnen langweilig und konturlos vor, sie wiederum verloren, ohne ihre Nervenheilanstalten im Hintergrund, ihr Charisma und ihre geheimnisvolle Aura. Einige von ihnen glaubten an Wiedergeburt, andere beschäftigten sich eingehend mit östlichen Philosophien, vor allem dem Taoismus und dem Zen-Buddhismus. Einer von ihnen war zutiefst davon überzeugt, dass es eine Verbindung zwischen dem Indigoblau des tiefen Kosmos, der menschlichen Aura und dem Psychischen gab. Er hatte sich sogar ein altes Zeiss-Teleskop gekauft, um mit der »Psychizität« der Sterne in Berührung zu kommen. Psychiater waren zu dieser Zeit in Bulgarien gesellschaftliche Randfiguren, die vom System notorisch geächtet wurden, denn offiziell gab es in Bulgarien weder Verrückte noch Behinderte. Nach dem Prinzip von Zuckerbrot und Peitsche bekamen Nedas Freunde aufgrund ihrer gesellschaftlichen Bedeutungslosigkeit also sehr, sehr wenig vom Zuckerbrot; da die weggesperrten Geisteskranken aber auch keine »Volksfeinde« werden konnten, bekamen sie im Gegenzug auch nur sehr, sehr wenig von der Peitsche zu spüren. Sie beobachteten eindringlich, aber mit

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