Seelenasche
Dummkopf!« Die Stimme ihm gegenüber war kategorisch, aber nicht feindselig. Der Whisky funkelte schon in den Gläsern. Wie konnte etwas so Reines nur derart das Gehirn vernebeln! Sie nahmen den ersten Schluck, ohne vorher angestoÃen zu haben, doch auch so war zwischen ihnen wieder Waffenruhe eingekehrt.
»Emilia behauptet, dir sei es immer langweilig mit ihr gewesen. Und wenn der Mensch sich langweilt, sucht er sich Unterhaltung, darum hab ich gefragt â¦Â«
»Emilia ist einfach ausgelaugt und musste sich von irgendetwas Wichtigem in ihrem Leben trennen. Da sie sich aber vom Theater nicht trennen kann â¦Â«
»Dann bist du also die unwichtigere Wichtigkeit in ihrem Leben?«
»Wie es aussieht, ja«, erwiderte sein Vater ernst und gleichsam tastend. »Ich kann ihr die vollen Zuschauersäle nicht ersetzen, den Applaus und die zustimmenden Rezensionen in der Zeitung. Und meine Begeisterung für sie war ja dramaturgisch höchst ungeschickt, weil sie so stetig war.«
»Ich bin sicher, dass Emilia dich liebt!« Es war eine Qual, das über die Lippen zu bringen. Er plauderte ja nicht mit Sima oder Elena; gegenüber seinem Vater dröhnte das Wort »Liebe« wie eine straff gespannte Pauke. Sein Vater zündete sich eine Zigarette an, und erst jetzt, durch die bläuliche Rauchwolke, sah man die ganze Müdigkeit des verwaisten Menschen.
»Vielleicht hast du recht, und es war wirklich zu viel für sie, im Theater und zu Hause spielen zu müssen.«
»Emilia ist nicht müde vor Ãberforderung. Sie ist einsam, Papa!«
Er wurde das schmerzliche Gefühl nicht los, er spräche zugleich von Neda, seiner Frau. Dies gab ihm die Sicherheit, nicht nur die verblasste Bindung Vater-Sohn, sondern auch die unter Männern erneuert zu haben. Dies hier, das war etwas, wovon Jonka in der Würde ihres hohen Alters geträumt hatte. Nicht das Gelingen und der donnernde Erfolg, sondern die Prüfungen des Lebens und das Leiden schufen Bindung in der Familie und fügten ihre Mitglieder zu einem unzerstörbaren Ganzen.
» Deine Mutter wollte die Scheidung â¦Â« Er sprach die Worte »deine Mutter« mit besonderer Sanftheit aus.
»Aber du kannst sie noch aufhalten.«
»Das Wesentlichste im Menschen ist seine Sehnsucht nach Freiheit. Die Freiheit ist Emilias letzte Illusion, und ich hatte kein Recht, sie ihr zu versagen. Danke, dass du gekommen bist. Deine Bemühungen sind zwar vergeblich, aber dennoch löblich.«
Damit war ihr Gespräch beendet, und Jordan erhob sich. Wie gern wäre er jetzt böse geworden, zumal sein Vater schon lange nicht mehr auf seine Showmätzchen hereinfiel. Jordan sah, wie sein Vater sich schämte, weil er ihn als aufgeblasene, leere und elegant gekleidete Puppe gesehen hatte, der von der »kleinen Guckkastenbühne« lächelte. Er schnappte nach Luft. Der Atem stockte ihm vor widerstrebender Liebe zu diesem von den Flammen des Kamins erleuchteten alten Mann. Einem Mann, der sich selbst erleuchtete, verbesserte Jordan sich. Er hatte die Tür schon geöffnet, als er sich noch einmal umdrehte und schonungslos sagte:
»Ich weià ja, dass dieses Buch über Demokratie dir jetzt das Allerwichtigste ist; aber vergiss nicht: Demokratie war schon immer das Lieblingsthema der Tyrannen!«
15
Das Kotelett in der Küche schwamm in Fett oder vielmehr: klebte in der gelblich-weià erkalteten Cholesterinschicht des Ãberflusses. Ein Drittel der Menschheit überfraà sich, zwei Drittel litten an chronischem Hunger, die ganze Menschheit war also krank! Der Anblick des riesigen toten Stückes Fleisch auf dem teuren Porzellanteller war so abstoÃend, dass ihm ganz übel wurde, zumal er schon mit Emilia im Russischen Klub Fleisch gegessen hatte. Auf Zehenspitzen drehte er um, schlich wie ein Dieb den Korridor entlang und erblickte den Lichtstreifen unter der Schlafzimmertür. Neda las. Ihr beständiger Kontakt mit der geistigen Welt war die subtilste Art und Weise, ihm ihr Desinteresse zu zeigen. Das Kind neben ihr schlief mit unters Kissen gestopften Fäustchen. Er hatte kein Recht, seinen Schlaf zu stören. Wozu auch? Seine ganze Vaterschaft war sinnentleert. Die Kleine kannte ihn fast nur von der Mattscheibe. »Da, da ist Papa!«, rief sie aus, wenn sie ihn sah, immer mit diesem glücklichen Lächeln im Gesicht, wozu brauchte sie ihn auch noch in der Wirklichkeit?
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