Seelenasche
mehr.
»Also gut«, stöhnte sie mit dem zerstreuten Lächeln eines Menschen, der zwischen Neid und Liebe hin- und hergerissen war, »das mit dem Theater geht klar, ich mach das, aber nur unter einer Bedingung: Wenn du dein Kind mal gesund zur Welt gebracht und es abgestillt hast, dann möchte ich, dass du den Hamlet wieder inszenierst, du weiÃt schon, unseren Hamlet !«
21
Ihr Vater war von ihrer festlichen Geste gerührt. Sie war in die nächste gute Pizzeria gegangen und hatte zwei groÃe Pizzen gekauft, für ihn natürlich seine geliebte Bolognese. Assens Augen, die längst ihre tiefe Bergseebläue an ein mattes Grau verloren hatten, wurden feucht. Sie aÃen so schweigsam und konzentriert, als säÃen sie nicht zu Hause, sondern in einem unbekannten Restaurant. Danach öffneten sie zur Feier des Tages eine Flasche Whisky der Marke »Geschenk von Christo« und gönnten sich einen guten Schluck. DrauÃen pflügte der Abend das schwere herbstliche Goldlicht um wie eine Scholle, im Dunst der hereinbrechenden Nacht vermeinte man, den Duft von Laubfeuer zu riechen, von sorgloser Kindheit.
Ihr Vater trug eine braune Cordhose und eine dicke Wolljacke; ihm war kalt. In letzter Zeit war ihm fast immer kalt. Dessislava betrachtete ihn, bemerkte die Veränderungen an ihm. Die erfüllten sie nicht so sehr mit Bedauern und Mitleid als mit Verwunderung. Seine einst kantige, raumgreifende Männlichkeit war zusammengeschrumpft, sein Haar schlohweià geworden. Auf seine früher so entschlossenen Gesichtszüge war die selige Verträumtheit eines getreten, der in schweren Kämpfen um inneren Frieden rang. Er hörte ständig Radio, schaute regelmäÃig die Nachrichten im Fernsehen, aber unter den Leuten, um die es dort ging, war keiner seiner Gesinnungsgenossen von früher mehr, und er wurde den Eindruck nicht los: Es ging auch um gar nichts mehr, wenn man einmal davon absah, dass alle zusahen, so viele Schäfchen wie möglich ins Trockene zu bringen. In dem von allen ausgeraubten Staat waren so etwas wie private Gegenstaaten entstanden, angeführt von Leuten, die ihre eigene Polizei, ihre eigenen Hierarchien, Banken und Verbindungen, Institutionen und Gesetze hatten.
Das andere, womit er neben dem altgewohnten Bücherlesen die Einsamkeit seiner Tage füllte, war das Internet. Dessislava hatte ihm die nötigsten Handgriffe am Computer beigebracht und ihm eine E-Mail-Adresse eingerichtet, und so konnte er seiner Enkelin Jana lange Mails nach Bamberg schreiben und ungeduldig auf Antworten warten, die in ihrer Kürze an der Grenze zur Missachtung lagen. Es ginge ihr gut, sie habe tatsächlich Arbeit im Restaurant bekommen, hie und da schilderte sie auch kleine Eindrücke aus der Stadt, aber ⦠nichts Persönliches. Wer Persönliches preisgab, lieferte sich der Gefahr aus, ungebetene Ratschläge zu bekommen. Wer so stur war wie Jana, der zog es vor, selbst dann zu schweigen, wenn er für seine Freiheit mit Entbehrungen und Enttäuschungen bezahlen musste. Immerhin schrieb sie, dass sie einen Platz in einem Studentenwohnheim bekommen habe. Sie arbeite nur abends. Die Deutschen seien kühle und schwer zugängliche, aber im Grunde wohlwollende Leute. Man gewänne ihre Freundschaft nicht leicht, dann aber dauerhaft. Für den alten Assen war das alles einerlei: Sein Enkelchen war nicht bei der Familie, also musste es einsam und verlassen sein! Dessislava hingegen fragte sich vor allem, ob Jana nicht heimlich ihren schönen Theologen geheiratet habe, den sie am Flughafen kurz gesehen hatten. Sie wartete, bis ihr Vater sein Glas abgesetzt und den Whisky heruntergeschluckt hatte, und fragte dann:
»Und, hast du schon Antwort von Jana bekommen?«
»Ja. Wir sollen ihr kein Geld und keine Fresspakete schicken, sondern ihr zeigen, dass wir gutheiÃen, was sie tut.«
»Fehlt sie dir sehr?«
»Sie mir â ja, sehr, aber umgekehrt ⦠Dabei hatte ich mir eingebildet, wenigstens sie bräuchte mich noch.«
»Das tut sie doch auch!«
»Nein, da mach ich mir nichts vor! Jana ist erwachsen, und dazu schrecklich stolz. Das freut mich einerseits, andererseits entmutigt es mich.«
»Vielleicht gibt es ja bald wieder jemand, der dich braucht.«
»Wer sollte das denn sein?«
»Papa, ich bin schwanger!«
»Aber ⦠das ist ja wundervoll, mein Kind.«
»Da ist nur etwas
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