Seelenasche
â¦Â«
»Endlich werde ich ein Enkelchen von dir haben!«
»Ja, Papa, nur ⦠damit du es weiÃt: Ich werde das Kind allein aufziehen!«
»Oh«, wunderte sich Assen, »aber es gehört sich doch, dass ein Kind ordnungsgemäà Vater und Mutter hat.«
»So war das mal, ja. Aber jetzt und für mich ist es besser ohne â¦Â«
»Ja, will dein Freund dich denn nicht heiraten?«
»Ganz im Gegenteil. Das Schlimme ist nur â¦Â«
»Ich verstehe dich nicht, Liebes.«
»Er drangsaliert mich regelrecht, dass ich ihn heirate, verstehst du?«
»Nein.«
»Wie soll ich es dir erklären? Er besteht so sehr darauf, dass ich das als eine Art seelischer Grausamkeit empfinde, die an Vergewaltigung grenzt.«
»Er ist doch nicht etwa â¦Â«
»Doch, ist er.«
»Na, dann ⦠dann musst du tun, was für dich das Richtige ist.«
22
Die zwei Wochen erwiesen sich als ausreichend, um zu veranlassen, was zu veranlassen war. Schuschulkov hatte in diesen wenigen Tagen als Anwalt mehr zu tun als in den ganzen fünf Jahren zuvor. Die Tage waren kurz geworden, dafür schien die Zeit langsamer abzulaufen. Schuschulkov trank seinen morgendlichen Kornkaffee, knabberte eine geröstete, mit Gewürzsalz bestreute Scheibe Brot, zog seinen über zwanzig Jahre alten, aber aus gutem englischen Tuch genähten Anzug an, band sich seine beste Krawatte mit einem akkuraten Windsor-Knoten um und ging mit knackenden Gelenken die Treppe hinunter zum Rasiersalon, der sich immer noch in denselben mit Latex gestrichenen Räumen befand, in denen vor vielen Jahrzehnten Trentscho, der zweite Mann von Assen Weltschevs Mutter Jana, die Rasierseife mit Alaun versetzt und aufgeschäumt hatte.
Bis all dies getan war, war der Vormittag um. Er hatte dann aber immer noch Zeit genug, um mit dem Direktor der Koop-Bank über das Tauschgeschäft zu verhandeln, das dem Banker so unfassbar günstig vorkam, dass er »diesem herzigen Alterchen« ein nigelnagelneues Mobiltelefon schenkte, nur damit der nicht auf die Idee kam, mit seinem Angebot zur Konkurrenz zu gehen. Gott, wie schön, dass es noch solche Naivlinge gab.
Schuschulkov sollte auf die in der Tat absurd erscheinende Anordnung Krum Krumovs hin auf das Freigelände der Porzellanfabrik, die den riesigen Parkplatz und den überdachten Abladeplatz für die Rohkaolinhaufen umfasste, eine Hypothek aufnehmen, die nicht höher lag als der Lohn der Arbeiterschaft, den er tags zuvor bei der Sparkasse abgehoben hatte. Was den Direktor der Koop-Bank so freute, war, dass er die aktuellen Grundstückspreise sehr wohl im Kopf hatte und wusste, dass der Wert der angebotenen überbauten Grundfläche mindestens um ein fünffaches höher lag. »Ich muss es tun«, hatte Krum seinem Anwalt erklärt, »denn das ist der einzige Weg, um allen auszahlen zu können, was ihnen zusteht, den Arbeitern, meiner Ehefrau Gergina, und damit auch das Andenken meines GroÃvaters zu ehren, bei dem es immer nur klare Rechnungen gab. Und ich bin es mir selbst schuldig.«
Zu Schuschulkovs Entsetzen reichten die zwei Wochen aber auch noch, um eine, wie er fand, noch verhängnisvollere Sünde am Erbe zu begehen. Seine Beine wollten ihn gar nicht tragen zu dieser Versicherungsgesellschaft Fittich. Immer wieder stützte er sich auf seinen Spazierstock, den er 1963 in Weimar gekauft hatte, und auf dem von oben bis unten die daumennagelgroÃen Blechwappen der Wanderziele genagelt waren. Er schleppte sich über den Widiner Marktplatz, schlurfte über die HauptstraÃe, blieb vor jedem Schaufenster stehen â Osteoporose, Arthritis und ein nicht minder schmerzendes Herz. SchlieÃlich gab er sich einen Ruck, betrat das Marmorfoyer der Versicherung und wurde von einer jungen Angestellten mit übertriebener Liebenswürdigkeit, einem lauwarmen Kaffee und zwei hart gewordenen Gebäckstücken begrüÃt und den Worten: »Nein, Herr Schuschulkov, pünktlich, wie immer überpünktlich. Ja, das ist die alte Schule!« Dabei hatte er sich über eine Stunde verspätet. Dann half sie ihm, auf einem Kanapee Platz zu nehmen, das mit Kunstleder im Waffelmuster bezogen war, und breitete auf dem Tischchen vor ihm die Mappen mit den von ihr vorbereiteten Unterlagen aus. Und wie um zu zeigen, wie viel ihr an ihm lag, sprang sie auf und rief in gespielter Peinlichkeit aus: »Au, hab ich doch glatt
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