Seelenband
Instrumente waren an ihrem Platz.
Er drückte Nalla noch einen Kuss auf die Stirn, dann nahm er das kleine Gerät an sich und wankte aus der Höhle hinaus.
Als Valerie John erblickte, wie er vor dem
"Pablo"
auf sie wartete, wusste sie, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Er sah zerzaust aus und abgehetzt. Und waren das Grasflecken auf seiner Hose?
"Ist alles in Ordnung mit Ihnen?" fragte sie besorgt, als sie ihn erreichte.
"Aber ja." Er reichte ihr ihren Kaffee. Sie schnüffelte überrascht daran. "Ein Moccacino? Aber woher wussten Sie..." Sie brach ab und sah ihn prüfend an. "Sie sehen ja furchtbar aus."
Er blickte schuldbewusst an sich herab. "Ich hatte leider keine Zeit mehr, mich umzuziehen. Ich weiß, ich sehe nicht gerade ordentlich aus."
"Aber was ist passiert?"
"Ich war im Park, joggen, und bin auf dem feuchten Gras ausgerutscht."
"Joggen?" wiederholte Valerie skeptisch. Er sah eher aus, als hätte er sich durchs Gebüsch gekämpft. Sie glaubte ihm kein Wort.
"Ja, joggen", wiederholte John fest. Er sah sie eindringlich an.
Schließlich nickte Valerie. Es war klar, dass er log. Und es war klar, dass er wusste, dass sie es wusste. Dennoch würde er ihr nicht mehr dazu sagen. "Wir sollten uns beeilen", sagte sie. Ihr konnte es ja auch egal sein, was er getrieben hatte.
John sah sie dankbar an. Er hatte wirklich keine Zeit gehabt, sich umzuziehen. Oder das verdammte Gerät in seiner Jackentasche loszuwerden. Er war geradewegs zum
"Pablo"
gegangen, da er es sich nicht leisten konnte, diesen Job zu verlieren. Und jetzt musste er ins Büro. Er hoffte, dass er sich mit seinem Aufzug dort keinen Ärger einhandelte.
Zum Glück war seine Sorge unbegründet. Die Chefin und die Kollegen musterten ihn zwar neugierig, doch sagten nichts weiter dazu. Anscheinend reagierten sie so wie alle anderen Menschen auf ihn und ließen ihn einfach in Ruhe. Alle, bis auf Valerie. Außerdem schien es wirklich gleichgültig zu sein, wie jemand aussah, solange er nur seine Arbeit tat, stellte John fest, als er sich eine Kollegin im bauchfreien Oberteil und pinken, hoch stehenden Haaren anschaute. Nun, ihm sollte es auch recht sein.
Die nächsten Tage verliefen recht eintönig und langsam gewöhnte John sich an diese Routine. Eine Frühschicht im
"Pablo"
, dann Valerie mit dem passenden Kaffee-Getränk überraschen, mit ihr ins Büro gehen, dort seine Arbeit tun, dann eine weitere Schicht im Café, und dann Feierabend, allein sein mit seinen Gedanken und den Alpträumen in der Nacht. Es schien, sein Leben hatte eine stabile Position erreicht, keine besonders erfreuliche, aber zumindest war sie erträglich. Er wusste, dass es besser werden würde, wenn er mehr Zeit mit Valerie verbrachte, aber er wusste nicht, ob er das wagen sollte oder ob es zu egoistisch von ihm wäre, seinem Wunsch nach ihrer Gegenwart zu entsprechen.
"Haben Sie morgen schon etwas vor?" fragte Valerie mit einem neugierigen Lächeln, als sie am Freitag wie gewöhnlich zum Verlagshaus gingen. Sie nippte an ihrem Vanille-Capuccino und wunderte sich nicht zum ersten Mal, wie John immer genau erriet, wonach ihr gerade war, auch wenn sie es selbst noch gar nicht richtig wusste. Machte das etwa einen richtig guten Barkeeper aus? Dann schüttelte sie den Kopf, um sich zu konzentrieren. Sie schweifte vom Thema ab.
"Ja, ich habe samstags immer etwas vor", sagte er vorsichtig.
"Immer dasselbe?" hakte sie nach.
"Ja, es ist eine dauerhafte Verabredung", erwiderte er kurz angebunden und hoffte im Stillen, sie würde es dabei bewenden lassen. Er war einfach noch nicht so weit, es ihr zu sagen.
Doch so leicht ließ sich Valerie dieses Mal nicht abwimmeln. "Ich dachte, Sie würden außer mir kaum jemanden hier kennen?"
"Es ist jemand, den ich noch von früher kenne."
"Aus Ihrer Heimat?"
"Ja."
Valerie wartete darauf, dass er noch etwas mehr sagte, doch er blieb stumm. Frustriert wandte sie sich ab. Sie konnte ihn ja schlecht zwingen, es ihr zu erzählen. "Dann sehen wir uns wohl am Montag", sagte sie, als sie das Bürogebäude erreicht hatten und blickte zur Bestätigung zu ihm hoch.
Er stockte kurz, dann nickte er schnell. Während sie die Treppe zu ihrem Büro hochging, grübelte Valerie darüber, was sein Zögern zu bedeuten haben mochte. Da sie sich jedoch nicht über jede von Johns Eigenarten den Kopf zerbrechen wollte, verdrängte sie diese Frage ganz schnell aus ihren Gedanken. Sie hatte dringendere Dinge, die ihre Aufmerksamkeit erforderten. Wie zum Beispiel die
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