Seelenband
neugierig.
"Sie würde gern bei dir bleiben. Sie findet dich nämlich lustig", sagte John.
"Lustig?" wiederholte Valerie empört. Dann lachte sie. "Ich schätze, ich hätte es schlimmer treffen können, oder?"
"Lustig ist vielleicht nicht ganz das richtige Wort", korrigierte John sich. "Sie findet es interessant, dass du dich so unsicher ihr gegenüber fühlst, obwohl du schon groß bist. Und sie findet es komisch, dass du für alles so viele Worte brauchst."
"Seid ihr jetzt auch noch Telepathen?" entfuhr es Valerie fassungslos.
"Nein, aber wir brauchen dennoch nicht ganz so viel verbale Kommunikation."
"Ich aber. Und daher sag deiner Tochter", sie sah Nalla mit einem strengen Blick an, "dass sie sich aus meinem Kopf bitte raushalten soll."
Nalla kicherte und John rollte mit den Augen. "Du kannst sie nicht einschüchtern, wenn du ihr gar nicht wirklich böse bist. Das spürt sie sofort", erklärte er.
Valerie seufzte. "Das kann ja ein interessanter Tag werden." Sie warf Nalla einen übertrieben bösen Blick zu, was die Kleine wieder zum Kichern brachte.
Nachdem John gegangen war, versuchte Valerie, dem Mädchen ein paar Wörter beizubringen, und staunte, wie einfach ihr das gelang. Vielleicht war ja doch etwas dran an den überragenden intellektuellen Fähigkeiten, mit denen John so gerne angab. Nach nur einer halben Stunde hatte Nalla die wesentlichen Dinge, die in Valeries Küche zu finden waren, gelernt: Brot, Milch, Käse, Wurst, Tisch, Stuhl, Apfel, Teller ... Daher beschloss Valerie, den Unterricht mit Kleidungsstücken fortzusetzen. Dabei fiel ihr auf, dass Nalla außer dem T-Shirt und den Sachen, die sie in der Höhle angehabt hatte, gar nichts besaß. Spontan beschloss sie, mit der Kleinen einkaufen zu fahren. Sie war sich nicht ganz sicher, ob sie sich dem Mädchen wirklich hatte verständlich machen können. Aber zumindest widersprach Nalla nicht, als Valerie sie bei der Hand nahm und mit ihr zusammen die Wohnung verließ. Vermutlich spürte das Mädchen einfach, dass Valerie ihr nichts Schlechtes wollte.
Valerie parkte ihren Wagen vor einem großen Einkaufszentrum und fühlte sich auf einmal komisch, als sie die Kinderabteilung betrat. Sie hatte ja nicht einmal eine Ahnung, welche Größe Nalla haben mochte. Zum Glück kam direkt eine Verkäuferin auf sie zu und bot ihr ihre Hilfe an. Valerie zögerte. Eine Frau mit einem Kind, dessen Kleidergröße sie nicht kannte und dessen Sprache sie nicht einmal sprach, mochte verdächtig wirken. Aber eine Frau, die Hilfe ablehnte und dann doch nicht zurecht kam, wirkte wohl auch nicht besser.
"Ja", sagte sie schließlich. "Meine ... Nichte ist bei mir zu Besuch. Und da wollte ich den Tag mit ihr nutzen und ein wenig shoppen gehen." Sie senkte ihre Stimme und beugte sich näher an die Verkäuferin heran. "Nur, es ist das erste Mal mit ihr und ich habe selbst keine Kinder, verstehen Sie?"
"Aber natürlich." Die Verkäuferin lächelte. "Das ist aber ein süßes Ding." Sie beugte sich zu Nalla herunter. "Wie heißt du denn?"
"Nalla", sagte Valerie schnell. "Sie ist schüchtern", fügte sie hinzu, als Nalla weiterhin schwieg und die Frau bloß mit großen Augen anstarrte.
Die Verkäuferin musterte das Kind. "Sie ist vier, nicht wahr?"
"Ja." Valerie nickte. Sie hatte eigentlich gar keine Ahnung.
"An was haben Sie denn gedacht?"
"Ein Paar Jeans, einige Oberteile, Schuhe, eine Jacke."
Die Verkäuferin sah Valerie überrascht an. Das war ja eine wirklich spendable Tante.
"Ich sehe die Kleine so selten", sagte Valerie mit einem Achselzucken und zog Nalla an sich.
"Also gut, bitte folgen Sie mir." Valerie nahm Nalla fest bei der Hand und folgte der Verkäuferin.
Eine Stunde später war das Mädchen mit dem Nötigsten ausgestattet, um die nächsten Wochen zu überstehen. Vor dem Wintereinbruch würden sie noch einmal einkaufen fahren müssen. Und an der Kasse stellte Valerie überrascht fest, dass Kindersachen zwar kleiner, aber keineswegs günstiger waren als für Erwachsene. Aber das war es ihr wert. Nalla sah so niedlich in ihren neuen Klamotten aus, dass Valeries Herz vor Freude aufging.
"Was möchtest du essen?" fragte sie das Kind, als sie den Laden verließen. Nalla sah sie nachdenklich an und Valerie machte eine Geste, als würde sie etwas essen. Das Mädchen nickte erfreut.
"Aber was möchtest du?"
Keine Antwort.
"Brot?" versuchte Valerie es, in der Hoffnung, ihr so begreiflich zu machen, was sie von ihr wollte.
Nalla schüttelte so energisch den Kopf, dass ihre
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