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Seelenband

Seelenband

Titel: Seelenband Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Zeißler
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nicht verarbeiten. Für sie ist keine Zeit vergangen, in ihrer Erinnerung war sie erst vor drei Tagen mit mir von Zuhause geflüchtet. Das ist alles sehr schwer und verwirrend für sie." John verstummte.
"Und was hast du ihr jetzt gesagt?"
"Dass die Leute zu Hause böse zu uns waren und dass wir deshalb fort mussten. Und dass ihre Mami uns nicht begleiten konnte, weil die Seelen sie zu sich geholt haben. Sie ist jetzt bei ihnen und wacht über uns. Und eines Tages, wenn die Seelen auch uns rufen, werden wir wieder mit ihr zusammen sein. Und dann sagte ich", er nahm Valeries Hand und drückte sie fest, "dass die Seelen erkannt haben, dass wir, Nalla und ich, nicht im Gleichgewicht und ganz unglücklich waren, seit sie ihre Mami zu sich genommen haben, und das durfte nicht sein." Er sah Valerie an. "Logischerweise gibt es keine allein erziehenden Eltern in unserer Welt", erklärte er. "Und deshalb sagte ich ihr, dass ihre Mami die Seelen überredet hatte, uns dich zu schicken, damit wir wieder eine Einheit sind, so wie es sein sollte." Er verstummte und sah Valerie ergriffen an.
Sie spürte Tränen in sich aufsteigen, als sie sich zu ihm herüber beugte und ihm einen kleinen Kuss auf die Lippen gab. "Eine Einheit", wiederholte sie leise und nahm Nalla sanft in ihre Arme.

Den nächsten Tag verbrachten Valerie und Nalla wieder zusammen. Valerie konnte gar nicht glauben, wie schnell sie sich an das fremde Kind in ihrem Leben gewöhnt hatte und wie viel Spaß ihr der Umgang mit der Kleinen machte. Jedes Mal, wenn Nalla sie anlächelte oder sie fröhlich umarmte, quoll Valeries Herz vor Freude schier über. Ihr hatte in ihrem alten Leben bestimmt kein Kind gefehlt, aber jetzt konnte sie sich ein Leben ohne Nalla gar nicht mehr vorstellen. Und sie wunderte sich im Stillen, dass John, der sonst so gut in ihr Herz blicken konnte, das nicht hatte kommen sehen. Sie konnte es noch immer nicht fassen, dass er ihr Nalla verheimlicht hatte, aus Angst, sie könnte sie ablehnen. Sie warf einen Blick auf das Mädchen, das gerade ihre Puppe hatte umziehen wollen und nun verwundert auf deren Bauch starrte. Und irgendwie konnte sie ihn doch verstehen. Sie hätte auch auf keinen Fall riskiert, dass der Kleinen irgendjemand weh tat, so gering die Wahrscheinlichkeit dafür auch sein mochte. Sie würde ebenfalls kein Risiko eingehen.
Nalla runzelte die Stirn, dann sprang sie auf und lief mit ihrer halb nackten Puppe zu Valerie herüber. "Kaputt?" fragte die Kleine und zeigte auf den kleinen Bauchnabel, der ihre Aufmerksamkeit erweckt hatte.
"Nein", erwiderte Valerie und schüttelte den Kopf. Dann hob sie ihren eigenen Pulli hoch und ließ Nalla ihren Bauch sehen. Es kitzelte leicht, als das Mädchen vorsichtig ihren Finger darein legte, und Valerie musste ein Kichern unterdrücken. Verwirrt zog die Kleine ihr Shirt hoch und starrte auf ihren glatten Bauch. "Nicht?" sagte sie fragend und fasste sich selbst an den Bauch. Dann sah sie sich Valeries Bauchnabel noch einmal genau an. "Anders?" fragte sie verwirrt und wirkte auf einmal leicht verängstigt.
"Anders, aber nicht schlimm", bestätigte Valerie und drückte das Kind beruhigend an ihre Brust.
Nalla schien einen Moment lang zu lauschen und Valerie wusste, dass sie wieder ihre Gefühle las. Irgendwann musste sie dem Kind wohl beibringen, dass sich das nicht gehörte, aber vorerst schien das das Mädchen zu beruhigen und Valerie ließ sie einfach gewähren.
Schließlich nickte Nalla befriedigt und strampelte, damit Valerie sie wieder zu Boden ließ. Sie gehorchte und die Kleine rannte davon, um ihr Memory-Spiel zu holen. Sie hielt es so hoch, dass Valerie es sehen konnte, und sah sie erwartungsvoll an.
"Also gut." Valerie seufzte. Es hat mal eine Zeit gegeben, da hatte sie das recht gern gespielt. Aber das war gewesen, bevor sie angefangen hatte, gegen ein knapp vierjähriges Kind zu verlieren.

Am Nachmittag hatte John seine Schicht im
    "Pablo"
anscheinend wieder ausfallen lassen, denn er kam viel früher nach Hause, als Valerie ihn erwartet hatte.
"Arbeitest du gar nicht mehr im Café?" fragte sie erstaunt, nachdem er sie zur Begrüßung fest an sich gedrückt hatte.
"Vorläufig nicht. Ich habe gefragt, ob ich ein paar Wochen wegbleiben könnte, weil ich mich dringend um ein einige private Angelegenheiten kümmern muss", erklärte John und riss Nalla, die gerade auf ihn zugestürmt war, in seine Arme. "Pablo hatte nichts dagegen. Da die Hochsaison jetzt vorbei ist, braucht er ohnehin nicht

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