Seelenband
mehr so viele Kellner. Er wollte eigentlich Cassandra gehen lassen, weil sie den Job am wenigsten benötigt. Jetzt darf sie bleiben." John zuckte mit den Schultern. "Im Frühling kann ich wieder kommen, wenn ich mag. Die Pause ist zwar länger, als ich gewollt hatte, aber so habe ich eben mehr Zeit, mich um die zwei wichtigsten Personen in meinem Leben zu kümmern."
Valerie lächelte ihn verliebt an. "Ich habe bestimmt nichts dagegen."
"Nalla?" fragte John plötzlich irritiert, als ihm auffiel, dass seine Tochter an seinem Hemd zog.
"Sie will bestimmt deinen Bauch sehen", erklärte Valerie rasch. "Sie hat heute meinen Bauchnabel gesehen", fügte sie entschuldigend hinzu. "Und das hat sie wohl etwas verwirrt."
"Ach so." John half Nalla, sein Hemd hochzuziehen, und sie tätschelte beruhigt seinen Bauch. Dann sah sie Valerie besorgt an und fragte etwas in ihrer Sprache.
John antwortete ihr ernst. Sie nickte nicht ganz überzeugt, sagte jedoch nichts weiter, als ihr Vater sie wieder auf den Boden stellte.
"Was ist los?" fragte Valerie neugierig. Sie hasste es, dass sie die Sprache nicht verstand. Aber die Chancen, dass Nalla ihre Sprache bald beherrschte, standen so viel höher als umgekehrt, dass sich die Mühe des Versuchs nicht einmal lohnte.
"Nalla macht sich Sorgen um dich", erklärte John. "Weil du ein Loch im Bauch hast. Sie hat Angst, dass du wie ihre Mami zu den Seelen gehen könntest. Ich habe ihr gesagt, dass sie sich keine Sorgen zu machen braucht, aber ich denke, sie wird in den nächsten Tagen besonders auf dich aufpassen."
Valerie schluckte und spürte, wie Tränen in ihren Augen aufstiegen. Liebes, tapferes kleines Mädchen, dachte sie gerührt. "Willst du was essen?" fragte sie John, der sie mit einem gefühlvollen Blick anstarrte.
"Gerne. Haben wir noch Reste von gestern übrig?"
"Klar. Ich mache dir etwas warm."
Als John kurze Zeit später beim Essen saß, fiel Valerie plötzlich auf, dass er eigentlich recht spät gekommen war, wenn man bedenkt, dass er nicht im Café hatte arbeiten müssen. "Wo bist du heute nach der Arbeit gewesen?" fragte sie ihn.
"Ich habe ein Bett für Nalla gekauft", erklärte er. "Es wird morgen geliefert."
"Oh, dann muss ich wohl Platz machen", erwiderte Valerie überrascht.
John sah schnell zu ihr hoch und etwas wie Unbehagen huschte über sein Gesicht. "Ich habe es zu meiner Wohnung liefern lassen", sagte er vorsichtig.
"Oh", war alles, was Valerie dazu sagen konnte. Sie wusste selbst nicht genau, wieso sie auf die Idee gekommen war, dass sie nun als eine Familie gemeinsam leben würden. Sie runzelte die Stirn. Das stimmte nicht, genau genommen wusste sie es doch. John war derjenige, der von ihnen als von einer
Einheit
gesprochen hatte.
"Bevor du zu falschen Schlüssen kommst, lass es mich bitte erklären", bat John sie schnell. "Es geht um die Bilder, verstehst du?"
"Ach so." Valerie erinnerte sich noch lebhaft an die bezaubernden Bilder, die John in seiner neuen Wohnung an Decke und Wände gemalt hatte. "Sie sind wunderschön."
"Sie sind mehr als das", widersprach er ihr sanft. "Sie zeigen unser Zuhause." Er nahm ihre Hand. "Und vielleicht kannst du dich auch dort Zuhause fühlen?"
Valerie stockte. Sie hatte keinen Augenblick daran gedacht, selbst umzuziehen. "Ich mag meine Wohnung."
"Natürlich." Er ließ ihre Hand wieder los. "Ich möchte dich nicht dazu drängen. Mit der Zeit vielleicht." Valerie spürte, dass er sich um einen verständnisvollen Ton bemühte, sich aber tief innen doch von ihr zurückgewiesen fühlte.
Nun griff sie nach seiner Hand. "Lass uns erst Nallas Zimmer einrichten, dann sehen wir weiter, ok?"
"Ok." Er drückte dankbar ihre Finger.
John schlug die Augen auf und blickte sich unruhig um. Das Schlafzimmer war dunkel und neben sich hörte er Valeries friedliche Atemzüge. Dennoch wurde er das Gefühl nicht los, dass etwas nicht stimmte. Vorsichtig, um Valerie nicht zu wecken, stand er auf und ging in das Zimmer herüber, in dem Nalla schlief. Alles schien in Ordnung zu sein. Sie lag entspannt da, die Puppe, die Valerie ihr geschenkt hatte, eng an sich gedrückt. John lächelte und verließ das Zimmer. Leise legte er sich wieder neben Valerie hin und schloss die Augen, doch der Schlaf wollte einfach nicht kommen.
Irgendetwas beunruhigte ihn, ohne dass er sagen konnte, was es war. Als er es schließlich nicht mehr aushielt, erhob er sich und ging in die Küche. Wenn er schon nicht schlafen konnte, konnte er seinen Frauen zumindest ein schönes
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