Seelenbrand (German Edition)
gerissen ...
Pierre kniete nieder und knotete die Schnur wieder zusammen. »Fehlalarm!« brummte er mißmutig. »Die ganze Aufregung für nichts und wieder nichts!« Hoffentlich hat der Lärm das Phantom nicht verschreckt!
Während er langsam zur Kirche zurückging, dämpfte er das Licht seiner Laterne und sah zum Turm hinauf. Der Schein der Kerzen war von hier unten nicht zu sehen. Das Gemäuer war in rabenschwarze Finsternis gehüllt.
»Und?« Marie kam ihm aufgeregt auf den Treppenstufen zum Glockenturm entgegen, eine Kerze in der Hand. »Haben Sie ihn?«
»Nein! Es war nur dieser blöde Kater Dagobert.« Er war immer noch gereizt. »Sein Hering für morgen ist gestrichen!« Als sie ihr Quartier unter dem Dachgebälk erreichten, verbesserte sich seine Laune schlagartig.
»Ich hab’ gedacht, daß wir endlich etwas essen sollten!« Sie drückte ihm eine weiße Serviette in die Hand. Das Huhn hatte sie schon zusammen mit dem Brot auf die zwei Teller verteilt und den Wein eingegossen. Der flackernde Schein der Kerzen tauchte alles – und das völlig unbeabsichtigt – in ein romantisches Licht.
Pierre setzte sich auf eine Holzkiste und sah auf seine goldene Taschenuhr. »Fast halb drei!« flüsterte er und nahm sich ein Glas.
»Der Wein ist doch hoffentlich recht?« fragte Marie leise herüber und nahm das ihrige in die Hand. »Ich meine ... weil Sie doch ein Geistlicher sind.«
Pierre hielt sein Glas gegen die Flamme der Kerze und musterte lange die Farbe des Weins ohne zu antworten. »Ach, wissen Sie«, er betrachtete versunken das tiefe Rot, »ich habe heute so ziemlich gegen jedes Gebot verstoßen, das es in meiner Kirche gibt!« Er prostete ihr zu. »Da kommt es auf das bißchen Wein auch nicht mehr an.«
Marie war verwundert, daß er plötzlich so tiefsinnig geworden war.
»Hm!« Genüßlich kaute er auf einem Stückchen Fleisch herum. »Ich wage mich ja kaum zu fragen«, gutgelaunt riß er sichein Stück von seinem Brot ab, »aber haben Sie ...«, er deutete auf seinen Teller, »... oder hat Ihre Tante das Essen gemacht?«
Marie nahm einen großen Schluck aus ihrem Glas und ließ sich mit der Antwort auffallend viel Zeit. »Das war ich!« Sie lächelte sanftmütig, aber ihre Zähne blitzten.
»Wo haben Sie gelernt, so gut zu kochen?«
»Im Internat! Bei den Klarissen.«
»Ach ...«, er nahm einen Schluck, »... Sie waren im Kloster?«
»Gewissermaßen ... ja!« flüsterte sie und lächelte verlegen.
»Es gibt keinen Grund, sich dafür zu genieren!« kauend tippte er sie an. »Übrigens, ich war mit lauter Männern im Priesterseminar.« Er verzog das Gesicht. »Ich kann Ihnen sagen ... da war es bestimmt genauso lustig, wie bei Ihnen und Ihren Klarissen!«
Beide wußten, wie diese Bemerkung gemeint war und lachten.
»Psst!« Marie hielt sich den Finger an die Lippen. »Nicht so laut!«
Pierre schmunzelte immer noch vor sich. »Dann sind Sie – bei der strengen Erziehung – am Ende ein besserer Katholik als ich«, wisperte er. »Ich wollte immer nur Ingenieur werden und hatte mit der Religion eigentlich nur sehr wenig am Hut.« Er nahm einen Schluck vom Roten. »Bis mein Onkel Robert – der ist übrigens Bischof ...«, Marie tat so als wäre sie über die Maßen geblendet und deutete mit dem Kopf eine Verneigung an, »... also dieser liebe Bruder meines Vaters hat gemeint, daß die Kirche doch eigentlich genau das richtige für mich wäre ... und deshalb sitze ich jetzt hier.« Er stellte sein Glas hin und wischte sich den Mund ab. »Aber wenn ich mich so umsehe ... dann hätte ich es wohl schlechter treffen können. Ich habe schon lange nicht mehr in solch angenehmer Gesellschaft gegessen!«
Das Erröten ihres Gesichtes blieb seinen Augen verborgen, und die beiden Kerzen zwischen ihnen flackerten wie zwei einsame Seelen im Meer der Dunkelheit.
Marie erhob sich mit ihrem Glas, lehnte sich auf das Sims einer Fensternische und sah in die Nacht hinaus. Pierre legte seine Serviette zusammen und stellte sich neben sie. Schweigend blickten sie in den Sternenhimmel.
»Glauben Sie eigentlich an Gott?« fragte er nach einer Weile leise, ohne seinen Blick vom Himmel zu nehmen.
»Natürlich! Ich bin doch schließlich in diesem Glauben aufgewachsen.Genau wie Sie.« Sie drehte ihren Kopf zu ihm hinüber. »Warum fragen Sie?«
Diese Sache mit den zwei Jesuskindern bekam er einfach nicht mehr aus seinem Kopf. Der in ihm wachsende Zweifel an seinem Glauben war wie ein glimmendes Stück Holz inmitten
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