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Seelenbrand (German Edition)

Seelenbrand (German Edition)

Titel: Seelenbrand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Mickholz
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sich in seinem tiefsten Inneren insgeheim genau mit denselben existentiellen Fragen beschäftigte, wie er? Er hatte seit Jahren niemanden mehr getroffen, der es gewagt hätte, die Heilige Schrift derartig neugierig zu hinterfragen ... und dieses dann auch noch öffentlich zu bekennen.
    »Aber, um nochmals auf die Frage zurückzukommen, was wir über unseren Schöpfer wissen ...«, Marie stellte das leere Glas zur Seite, »... er hatte doch ohne jeden Zweifel einen Sohn: Jesus Christus. Oder?«
    Pierre überlegte kurz und entschied sich dann erst einmal für ein halbes Nicken. In seine abstrusen Ahnungen wollte er sie nur sehr schonend einweihen. »Hatten Sie während Ihrer Kinderzeit auch immer diese Krippe unter dem Weihnachtsbaum?« fragte er schließlich.
    »Ja, Tante Pauline hat mich zu Weihnachten stets nach Hause geholt. Das war zu einer Zeit, in der wir noch nicht in Rennes gewohnt haben. Die Pension hier hat sie sich erst später gekauft. Da war ich schon größer.«
    »Wäre es Ihnen eigentlich je in den Sinn gekommen ... an der Richtigkeit ... der Weihnachtsgeschichte zu zweifeln? Ich meine ... Sie sind ja schließlich nicht auf den Kopf gefallen ... und haben sich offensichtlich schon ganz andere Gedanken über unseren Glauben gemacht?«
    »Hm?« Sie blickte lange in den Himmel hinauf. »Also für mich gibt es überhaupt keinen Zweifel, daß Jesus in einem Stall in Bethlehem geboren worden ist! Wie kommen Sie eigentlich dazu, mir eine solche Frage zu stellen ... Sie als Pfarrer?«
    Unbeabsichtigt hatte er sie wohl an einer sehr empfindlichen Stelle getroffen, an ihrem katholischen Nerv. Interessant! Obwohl sie vorhin doch so intelligent die göttliche Existenz hinterfragt hatte, so gab es hier plötzlich eine Barriere. Wenn es um ihre Kindheitserinnerungen ging, dann waren die Menschen,seiner Erfahrung nach, immer sehr sensibel. Tja, gerade an Weihnachten regierte – genau wie bei ihm – nicht der Verstand, sondern das Herz.
    »Da kommt jemand!« Marie stieß ihm gegen den Arm und riß ihn ruppig aus seinen Gedanken. »Sehen Sie da hinten ... die Laterne!«
    Tatsächlich! Gerade war eine Person von der Straße auf den Kirchplatz abgebogen und verharrte an dem monumentalen Kreuz vor der Kirche.
    »Schnell! Löschen Sie die Kerzen, Marie. Er ist da!«
    Vorsichtig streckten sie ihre Köpfe aus dem Fensterloch und lugten hinunter.
    »Können Sie etwas erkennen, Abbé?«
    »Nein, es ist zu dunkel!«
    Das Licht am Boden bewegte sich langsam, wie ein Glühwürmchen, in Richtung Kirche und verschwand schließlich an einer von oben nicht einsehbaren Stelle aus ihrem Blick.
    »Glauben Sie, daß er hier heraufkommt?« fragte Marie ängstlich.
    »Dann nähme er uns eine Menge Arbeit ab!« raunte Pierre zurück und schob sich seine Ärmel hoch. »Gott sei Dank bin ich heute nacht in Zivil!« Er dehnte seine Hände und ließ die Fingergelenke knacken. »Da kann ich mich besser bewegen!«
    »Sie wollen ihn doch nicht etwa verprügeln?«
    »Sie wissen doch«, er wollte sich in diesem Punkt noch nicht festlegen, »... ein Freund kommt am Tage, der Feind in der Nacht!« Er kniete sich neben der Luke nieder, die den einzigen Zugang zum Turm bildete. »Ich bin bereit! Soll er nur kommen!«
    Marie hüpfte vor Aufregung auf und ab. Bis auf das Glimmen der Laterne war es hier oben stockdunkel. »Da! Da!« flüsterte sie. »Das Licht ist jetzt am Eingang des Friedhofs. Er ist stehengeblieben!«
    Pierre schlich zu ihr hinüber und drängte sich neben sie in das Fensterloch, um hinunterzusehen.
    »Sollen wir ihn jetzt fangen?« flüsterte sie ihm ins Ohr. Ihr warmer Atem streichelte seine Wange.
    »Nein! Wir warten ab, was er macht.«
    Das unverkennbare Quietschen des Tores am Friedhof drang zu ihnen hinauf.
    »Was ist denn mit Ihrer Alarmanlage los?« kicherte sie. »Eigentlich hätte sie doch schon klappern müssen? Gut, daß wir nicht geschlafen haben, sonst hätten wir ihn glatt verpaßt!«
    »Ja, ja, ich weiß auch nicht, was da unten los ist.« Er sah sie an. »Vielleicht haben wir es doch mit einem Gespenst zu tun!«
    Marie stockte der Atem.
    Sie war ihm so nah, daß er es deutlich fühlen konnte. »Die schweben einfach über die Schnur weg.« Schob er schaurig hinterher.
    Marie blieb stumm, und er hörte nur ein nervöses Schlucken. Das war die Rache für ihre Häme über seine liebevoll konstruierte Alarmanlage.
    »Ein Scherz!« Er konnte sein Lachen kaum noch zurückhalten. »Es war nur ein Scherz!« flüsterte er und

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