Seelenbrand (German Edition)
einer riesigen mit Stroh gefüllten Scheune. Ein weiterer Windzug – oder ein kleiner Beweis – und alles stünde in Flammen. Aber er konnte einfach nicht über seine Entdeckung sprechen. Noch nicht!
Sie sahen immer noch schweigend in die Nacht hinaus.
»Was wissen wir eigentlich über Gott?« Pierre stellte sein Glas ab und sah Marie fragend an. »Sagen Sie mir, was Sie über Gott wissen! Sie waren doch immerhin im Kloster! ... Also ich weiß«, begann er, um ihr die Scheu zu nehmen, »... daß er unsere Welt ... und Adam und Eva geschaffen hat!«
Sie sah ihn erstaunt an.
»Das klingt vielleicht ein wenig naiv«, erklärte er vorsorglich, »aber es trifft doch wohl den Kern der Sache.«
Sie überlegte. »Hm? Ach ja, er hat Moses doch die zehn Gebote übergeben.«
Pierre nickte. Gegen die ich heute garantiert alle verstoßen habe!
»Gott hat doch auch Sodom und Gomorrha zerstört«, sagte sie.
Sie war nicht nur hübsch, sondern offensichtlich auch vielseitig gebildet. Diese Kombination traf man wirklich nur selten!
»Genau!« Er schenkte ihnen Wein nach. »Wie wär’s denn noch ... mit Noah und der Sintflut?«
»Ja, er hat die Menschheit vernichtet ... bis auf Noah und seine Familie.«
»Wir haben zwar bei weitem nicht alle Ereignisse aus der Bibel aufgezählt, bei denen unser Gott in Erscheinung getreten ist«, er reichte ihr das Glas, »aber darauf kommt es ja auch gar nicht an. Denn egal – und wenn wir hundert Jahre weitersuchen würden – es gibt nichts Schriftliches, das uns etwas über seine Person verrät.«
»Sonderlich viel wissen wir dann genaugenommen wirklich nicht über ihn, oder?« staunte Marie und nahm einen Schluck Roten.
»Stimmt! Aber haben Sie sich schon einmal gefragt, was das für ein Gott sein muß, der – etwa wie bei Noah und der Sintflut oder diesem Sodom und Gomorrha –, der die Geschöpfe umbringt, die er nach seinem Ebenbild geschaffen haben soll? Ob er es nun schweren Herzens getan hat, weil sie allesamt böse und verdorben waren ... das ist ja egal! Er hat seine eigenen Kinder umgebracht!«
Marie lauschte erschrocken seinen Worten.
»Würde ein Vater ...«, fuhr er nachdenklich fort und blickte in die Sterne, »... seine eigenen Kinder ermorden ... nur weil sie schlecht sind? Richtig schlecht! Ich meine ... mit Mord und Totschlag, Raub und diesen Sachen ...« Er sah ihr für einen Augenblick in die Augen. »Würde ein Vater seine eigenen Kinder deshalb töten ... oder hätte er nicht vielmehr die Hoffnung, daß sie sich eines Tages besserten? Eine Ermordung der eigenen Kinder käme doch wohl niemandem in den Sinn, oder?«
»Jetzt, da Sie es selbst ansprechen ...«, Marie nahm schnell einen Schluck Wein, »... da gibt es eine grundlegende Sache in der Bibel, die mich immer wieder beschäftigt hat, und die genau mit dieser Sache zusammenhängt. Und wenn Sie nicht davon angefangen hätten ... würde ich mich ja auch gar nicht trauen, Sie danach zu fragen.« Sie trank ihr Glas in einem Zug leer. »Aber wie kann es denn sein, daß seine Geschöpfe – eben wir Menschen – so schlecht sind? Wir lügen, stehlen, morden ... Und dabei hat er uns doch nach seinem Ebenbild geschaffen, oder? So steht es doch wenigstens in der Bibel!«
Er seufzte. »Ich weiß schon, worauf Sie hinaus wollen.«
»Ja ... ist denn dann unser Schöpfer genauso grausam wie wir?« flüsterte sie. »Gibt es deshalb das ganze Unheil auf der Welt, weil er es einfach geschehen läßt, weil es ihm gefällt ... weil er mitleidslos und ... böse ist? Warum beschützt er uns denn nicht ... wenn wir doch seine Kinder sind? Liebt er uns denn gar nicht? Wie kann ein Vater denn tatenlos zusehen, wie seinen Kindern Böses angetan wird?« Mit zittrigen Händen griff sie nach der Weinflasche.
Pierre seufzte und atmete tief durch. »Also, auf diese Frage kann Ihnen kein Mensch auf dieser Erde eine plausible Antwort geben.« Er drehte sich zu ihr um. »Natürlich würden die Theologen mit ihrem Geschwafel niemals zugeben, daß sie im Grunde auch keine Erklärung dafür hätten ... aber glauben Sie mir ...sie würden stundenlang auf Sie einreden und Sie mit geisteskrankem Unsinn überschütten. Wenn Sie sich also selbst einen Gefallen tun wollen«, er blinzelte ihr zu, »... dann hören Sie weiterhin auf Ihren eigenen Verstand und meiden diese Alleswisser.«
Schmunzelnd sahen sie wieder in den Sternenhimmel hinauf. Es war eine warme Sommernacht.
Wer mochte ihm nur diesen hübschen Engel geschickt haben, der
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