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Seelenbrand (German Edition)

Seelenbrand (German Edition)

Titel: Seelenbrand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Mickholz
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müßte.
    Der Hund jaulte in der Dunkelheit.
    Aber, wenn er nur einen Augenblick annahm, der Alte hätte wirklich unwiderlegbare Beweise für diese Ungeheuerlichkeit gefunden ... dann bedeutete das aber auch ... er schluckte ... daß das Neue Testament die Menschen seit Jahrhunderten belogen hatte! Wußte die Kirche davon?
    Wußte am Ende der Papst darüber Bescheid, daß einige Sachen, die sie den Gläubigen in ihren Messen verkündeten ... in Wirklichkeit ... ganz anders waren?
    Er ließ sich leise auf der hölzernen Kiste neben Marie nieder und sah auf die Uhr. Kurz nach eins. Seine Gedanken rotierten und forderten ihn immer wieder – obwohl er sich mit allen Kräften dagegen zu wehren versuchte – zu einem Spiel heraus, das den Namen trug: Was wäre wenn? Wenn die Bibel also nicht die Wahrheit sagte, und Jesus tatsächlich einen Zwillingsbruder hatte, der verschwiegen wurde – wie wilde Derwische tanzten die frevlerischen Gedanken in seinem Kopf umher –, so mußte er sich als normal denkender Mensch doch fragen, ob es noch mehr Verheimlichungen, Irreführungen oder gar Lügen gab, die die Gläubigen seit Jahrhunderten wie eine Selbstverständlichkeit hinnahmen, ohne darüber nachzudenken? Bis zu seiner zweifelhaften Erleuchtung in der Kirche vor wenigen Stunden, gehörte er doch ebenfalls zu dieser riesigen Gemeinde ... der Ahnungslosen. Der Glaube an Gott ... und das Wissen, das Richtige zu tun, hatten ihm doch immer die nötige Kraft für seine Arbeit gegeben. Auch jetzt weigerte er sich im Grunde seines Herzens, das alles einfach wegzuwischen und als Lüge abzutun. Warum sollte er plötzlich d e r Mensch sein, dem die Wahrheit offenbart wurde.
    Die Derwische in seinem Kopf tanzten in wilden Zuckungen und in ekstatischem Wahn. Er entzündete die mitgebrachte Laterne und drehte ihren Docht bis auf ein unscheinbares Glimmenzurück. Es ging ihm einfach nicht aus dem Sinn, daß der Alte vielleicht etwas gefunden haben könnte ... Diesen Zweifel – Pierre lehnte sich zurück an die Wand und schloß die Augen – wie sollte er ihn je wieder loswerden? Aber das Problem lag auf der Hand: Als er Pfarrer geworden war, hatte er sich ja schließlich nicht den Verstand entfernen lassen. Was konnte er denn jetzt noch glauben? Zwillinge?
    Welcher Jesus hatte dann die Gleichnisse erzählt, gepredigt ... die Wunder getan? Welcher von ihnen ist denn dann gekreuzigt worden und in den Himmel aufgefahren? Oder ... vielleicht war alles nur eine Lüge? Ist G o t t am Ende nichts weiter als ... eine Lüge der Kirche? Wenn sich herausstellte, daß der alte Abbé hier in seiner Kirche den Beweis dafür gefunden hatte, daß es wirklich zwei Jesuskinder gab, dann mußte zwangsläufig der Rest der Heiligen Schrift als Lüge in sich zusammenstürzen.
    Ein ohrenbetäubendes Scheppern und Klappern riß ihn aus seinen Gedanken. Es kam vom Pfarrhaus. Er sprang auf, griff sich die Laterne und hastete die Treppen des Kirchturms hinunter, durch den Kirchenraum und hinaus auf den Kirchplatz. »Jetzt haben wir dich«, schnaufte er und raste in Richtung Pfarrhaus. Vor dessen Haustür hatte er eine dieser Schnüre gespannt, an deren Enden mehrere Töpfe und Pfannen hingen, die bei Berührung oder Zerreißen des Fadens durch ihr Scheppern Alarm schlugen.
    Gerade als er durch den steinernen Torbogen eilen wollte, hinter dem die Eingangstür des Pfarrhauses lag, schoß ihm etwas Dunkles zwischen den Beinen hindurch und verschwand in der Nacht. Der Faden mit dem Klappergeschirr vor der Tür war zerrissen, und die Pfannen und Töpfe waren die Treppenstufen hinuntergescheppert. Die Tür selbst war immer noch so angelehnt, wie er sie zurückgelassen hatte. Er suchte nach dem Streichholz, das er unauffällig an einer Stelle der Tür eingeklemmt hatte, und das beim Öffnen derselben heruntergefallen wäre. So hätte es einen Eindringling verraten, auch wenn dieser die Tür von innen wieder angelehnt hätte. Aber es war immer noch an seinem Platz.
    »Diese blöde Katze!« Er stellte die Laterne ab und sammelte das Blechgeschirr zusammen. Wie oft hatte er dieses lästige, einäugige Tier, das ein unstillbares Verlangen danach hatte, an allem hochzuspringen, schon aus den Vorhängen befreien müssen, an denen es mit besonderer Vorliebe hochkletterte. KeinZweifel! Die Katze war wohl zu den in der Luft hin- und herbaumelnden Pfannen und Töpfen hochgesprungen und hatte sich dann an das Klappergeschirr gehängt. Unter seinem Gewicht war schließlich der Faden

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