Seelenbrand (German Edition)
unmöglich, sich jemals wieder von diesen Zweifeln zu befreien.
Ungeduldig riß er jede Schranktür in seiner Pfarrküche auf, die er finden konnte. Ah, hier! Er nahm die Flasche heraus. Verdammt! Leer! Dieser Totengräber hat wirklich nichts übriggelassen! Gereizt knallte er die ausgetrunkene Cognacflasche wieder in den kleinen Vorratsschrank. Ein kleiner Tropfen für die Nerven! Ist denn das schon zu viel verlangt? Ratlos sah er sich in der Küche um. Schöner Mist! Er verharrte einen Augenblick und griff sich dann eilig die Lampe. Dann muß eben der Meßwein dran glauben! Mit schnellen Schritten hatzte er ins Arbeitszimmer hinüber und holte dort die große staubige Vorratsflasche aus der Ecke.
Als er mit seiner Beute zurück in die Küche schlendern wollte, fiel ihm das Buch auf dem Schreibtisch auf, aus dem er die Karte entnommen hatte, die die Umgebung seiner Pfarrei zeigte, und mit deren Hilfe er die Marienstatue mit den zwei Knaben gefunden hatte. Er schnaufte und klemmte sich dann das zerschlissene Werk unter den Arm. Der Titel »Die Totenstadt« beunruhigte ihn nicht mehr sonderlich.
Allmählich hatte er sich an diese dramatischen Kindereien gewöhnt. Vielleicht erfuhr er aber, wenn er seinen Widerwillen gegen diese handschriftlichen Kritzeleien überwand, etwas über seine Vorgänger, die sich auf diesen Seiten verewigt hatten. Er stellte die große Flasche und die buntbemalte Porzellanlampe auf den Tisch, legte dieses ominöse Buch daneben und holte sich ein großes Glas, das er bis zum Rand mit dem Roten vollgoß.
Seit diese einäugige Katze hier im Pfarrhaus herumschlich, waren die Mäuse aus der Küche verschwunden. Leider! Über diese frechen und furchtlosen Gesellen hatte er sich doch eigentlich immer amüsiert, wenn er mal wieder alleine hier am Tisch saß und seine kleinen Freunde durch den Raum flitzen sah. Aber jetzt? Jetzt waren auch noch seine letzten Hausgenossen auf und davon. Mit einem großen Zug leerte er das Glas und schenkte sich sofort nach. Gott sei Dank war der Meßwein in letzter Zeit nicht zu oft gebraucht worden, die bauchige Flasche war noch gut gefüllt.
Er war hellwach, an Schlaf war nicht zu denken. In seinem Kopf tobte immer noch der Orkan, und es kreiste und kreiste unablässig in seinem Hirn. Vielleicht war das mit den Bildern erst der Anfang, und der alte Abbé hatte tatsächlich einen unwiderlegbaren Beweis für diese ungeheuerliche Geschichte mit denJesuszwillingen gefunden. Pierre leerte das zweite Glas. Vielleicht einen Beweis ... etwa, daß Jesus nach seiner eigentlichen Kreuzigung noch gelebt hatte, weil ja in Wirklichkeit sein Zwillingsbruder an seiner Stelle gestorben war. Das ist doch Wahnsinn ... wie kann ich nur über so etwas nachdenken? Zitternd stellte er das leere Glas auf den Tisch und goß es wieder voll.
Krampfartig mußte er immer wieder lachen, er konnte es einfach nicht verhindern. War es schon die Wirkung des Weins, oder war es der Beginn des Irrsinns? Wie wäre es denn ... er überlegte und hustete den Wein, den er sich inzwischen in den Mund geschüttet hatte, quer über den Küchentisch, bevor er wie irrsinnig zu lachen begann. Eine Heiratsurkunde von Jesus ... alles drehte sich, der Wein tat seine Wirkung, aber er trank in großen Zügen weiter und lachte ... und der ganze Laden würde zusammenbrechen! Alles aus und vorbei! Zweitausend Jahre Kirche beim Teufel! Der Papst ... ein Lügner und Betrüger ... Und ich mittendrin! Von wahnsinnigen Anfällen geschüttelt warf er das halbvolle Glas gegen die Küchenwand und setzte sich die Flasche mit dem Roten an den Hals. Ist ja völlig egal! Ist ja alles völlig egal! Der Wein rann brennend und zügellos durch seine Kehle und in Strömen über seine nackte Brust. In seinem Kopf hämmerte es unaufhörlich. Alles Lüge! Keine Auferstehung ... kein Gott ... und unsere Seele, auch nur eine Erfindung der Kirche ... nur um uns mit dieser ewigen Verdammnis in der Hölle zu drohen! Er knallte die leere Flasche mit aller Gewalt auf den Tisch. Und alles nur .. . damit wir hier unten schön brav sind und uns nicht gegen ihre Gängelei wehren! Welch eine Schweinerei tut sich da nur auf ...
Mit aller Gewalt warf er die leere Flasche gegen den schweren gußeisernen Ofen, der die gläsernen Splitter wie einen Regen in die Küche zurückschoß. Mein ganzes Leben ... verschwendet an eine Lüge ... Die ganze Plackerei für nichts und wieder nichts! Ermattet ließ er den Kopf auf die Brust sinken. Und ich kann
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