Seelenbrand (German Edition)
undurchdringlicher. »Weißt du wirklich, wo es langgeht?«
»Schon vergessen, daß ich hier aufgewachsen bin? Wir müssen durch diesen Wald bis zur Felswand, und von da schlängelt sich ein schmaler Weg zur Burg hoch. Es gibt nur diesen einen Weg.«
»Na schön!« Pierre kämpfte mit dem widerborstigen Gestrüpp. »Ich folge dir. Aber wieso sind denn diese Templer eigentlich so plötzlich von der Bildfläche verschwunden? Sie haben doch schließlich für unseren Glauben eingestanden ... und unter unmenschlichen Strapazen, mit all den anderen christlichen Rittern, Jerusalem aus den Händen der Ungläubigen befreit.«
Ungläubige? Er mußte innerlich lachen. Genau betrachtet gehörten sie ab heute wohl selbst zu den Feinden der Kirche. Früher wäre ihre Schnüffelei ein lebensgefährliches – weil ketzerisches – Unterfangen gewesen. Und die Strafe dafür war ja bekannt.
» Also, wo war ich? Ach ja ... 1099 hat dieser Gottfried von Bouillon mit seinem Kreuzfahrerheer Jerusalem eingenommen«, rief Marie, die sich gerade tapfer durch ein Dornengestrüpp wand. »Aber diese Sachen finde ich langweilig, die kannst du sowieso überall nachlesen.«
Bewundernd sah er sie an. Sie war wirklich ein schlaues Ding. »Als Archäologin gräbst du wohl tiefer, als jeder normale Mensch, was?«
»Ohne eingebildet wirken zu wollen, aber man lernt im wahrsten Sinne des Wortes, den Schutt und das taube Gestein an die Seite zu räumen und nach dem zu suchen, was darunter liegt. Aber warte mal auf das Ende der Geschichte! Das wird dich sicherlich interessieren.«
Ein wenig außer Atem standen sie endlich vor der felsigen Wand und sahen hinauf. »Da müssen wir rauf!« sagte Marie entschlossen.
»Klettern? Da rauf?« Pierre schluckte.
»Klettern! Blödsinn! Typisch Mann! Ich nehme jedenfalls den Weg, der auf der anderen Seite hinaufführt. Du kannst ja ...«
Ein Weg! Er war erleichtert. Das Frühstück schlabberte in seinem Bauch nämlich immer noch hin und her.
»Was war denn nun mit diesem Neider, der dem Templerorden den Garaus gemacht hat?« fragte er neugierig, während Marie nach dem zugewachsenen Weg suchte, der nach oben führte.
»Es ist zwar wenig schmeichelhaft für unsere Kirche, aber es war ein Komplott von Papst Klemens V. und Philipp IV., König von Frankreich.« Mit rollenden Augen sah sie ihn an. »Dieser Philipp galt doch zu seiner Zeit allen Ernstes als der schönste Mann der Christenheit. Kannst du dir das vorstellen? Ich sage ja nur: typisch Mann! Kerle ändern sich scheinbar nie. Entwickelt ihr euch eigentlich gar nicht weiter ... ich meine intellektuell?«
Oh, dieses Luder will mich offensichtlich wieder provozieren! Aus reinem Übermut! Er tat so, als hätte er alles überhört.
»Hier geht ein Pfad hoch.« Er war einige Schritte vorgegangen und bog auf den zunächst nur leicht ansteigenden, steinigen Weg ein.
»Also, was nun die Zerschlagung des Ordens angeht ... Jeden Templer, den sie erwischen konnten, haben sie in Ketten gelegt, umgebracht oder wie einen Ketzer öffentlich verbrannt. Die Inquisitoren des Papstes hatten damals viel zu tun, und sie haben niemanden verschont!« rief sie ihm hinterher.
Pierre blieb stehen und wartete auf sie.
»Dabei ist übrigens noch eine spukige Geschichte überliefert«, flüsterte sie und deutete zur Burg hinauf. »Als sie am 18. März 1314 gegen 6 Uhr abends in Paris den letzten Großmeister des Templerordens – Jacques-Bernard de Molay – auf dem Scheiterhaufen verbrannt haben, da hat dieser Molay den Papst und den König verflucht ... weil sie ihm und seinem Orden das Schreckliche angetan hatten, und er prophezeite ihren baldigen Tod.«
Pierre bekam eine Gänsehaut, als Marie ganz dicht an sein Ohr kam.
»Dieser Papst Clemens sollte innerhalb der nächsten 40 Tage sterben«, fuhr sie mit unüberhörbarer Dramatik fort. »Und sein Komplize, dieser König Philipp, sollte binnen eines Jahres vor seinen Schöpfer treten, um seine Sünden vor dem Allmächtigen zu verantworten!«
»Und?« fragte Pierre ungeduldig, als sie eine lange Pause machte und unentwegt in den Wald spähte.
Sie nickte vielsagend und sah zur Templerruine hinauf. »Nicht einmal einen Monat später starb der Papst an der Ruhr, und noch vor Ablauf des von Molay prophezeiten Jahres stürzte der König bei der Jagd vom Pferd und brach sich den Hals. Er hat also recht behalten«, hauchte sie ihm leise ins Ohr.
Und wieder spürte er, wie sich eine Gänsehaut über seinen ganzen Körper
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