Seelenbrand (German Edition)
mit ausgestreckten Armen beide gleichzeitig berühren konnte.
»Da hinten«, Marie deutete auf den engen bogenförmigen Durchgang am Ende des Gangs, um schleunigst das Thema zu wechseln, »geht’s in den Burghof. Ich war schon mehrfach zum Malen hier.«
Pierre schnaufte und erhob sich kopfschüttelnd von seinem Stein. »Vielleicht bin ich ja auch ein wenig nervös«, lächelte er schließlich. »Und außerdem bin ich erleichtert, daß ich mich nicht auch noch um diese Untat kümmern muß!« Er stöhnte nochmals herzerweichend und wechselte dann – zu Maries Erleichterung – gleichfalls das Thema. »Dafür, daß die Ruine schon so alt sein soll, sieht sie aber noch ganz brauchbar aus.« Er mußte seinen Kopf einziehen, als sie die kurze, tunnelartige Passage betraten, in deren verwitterte Wände schwere eiserne Türen eingelassen waren.
»Um 1215, während des Kreuzzugs gegen die Albigenser wurde hier alles niedergerissen, weil Bertrand de Blanchefort auf der Seite der Katharer stand.«
»Moment mal!« stöhnte Pierre. »Albigenser? Katharer? Bitte nicht noch mehr Geschichte!«
Sie betraten den sonnigen Innenhof der Festung.
»Findest du die Wissenschaft der historischen Forschungen etwa langweilig?«
Pierre überlegte einen Moment, beschloß aber dann ihr ohne Ausflüchte die Wahrheit zu sagen. »Sogar todlangweilig!«
»Banause!«
»Ich interessiere mich für den Eifelturm und seine Statik ... für den Brückenbau, Maschinen und Motoren und sogar ...«, er ließ sie einen Moment zappeln, »... und sogar ... für Automobile!«
»Automobile?« fragte sie verständnislos nach. »Diese stinkenden Knatterdinger?«
Er zuckte mit den Achseln.
»Na egal! Aber mit dem Beruf Priester bist du dann ja wohl auf dem völlig falschen Gleis, oder?« Sie sah ihn mitleidsvoll an.
»Tja, wem sagst du das!« Hilflos zog er die Schultern hoch. »Und das alte Zeug von diesen ... Katharern interessiert mich schon überhaupt nicht! Ich hab’ schon einiges von denen gehört!«
Sie überlegte einen Moment. »Aber du willst doch – genau wie ich – herausfinden, welches Geheimnis sich in unserem Pfarrhaus versteckt hält, oder? Ein Geheimnis, für das vielleicht sogar schon gemordet worden ist, und – wenn wir recht haben – dessen Enthüllung alle Ereignisse der letzten zweitausend Jahre in den Schatten stellen würde.«
Der große, quadratische Innenhof der Burg lag fast vollständig in der Sonne. Die Schwalben zischten emsig hin und her, und ihr schrilles Gepfeife hallte durch die ganze Ruine.
»Von diesen Katharern hab’ ich natürlich schon gehört.« Sie gingen auf den Brunnen zu, der in der Mitte des Hofs lag. »Ihre Ermordung war ja nicht gerade eine Ruhmestat unserer Kirche.«
Sie nickte. »Diese Gedenktafel in Béziers erinnert noch heute an dieses Massaker an den 15000 Menschen, die sie als Ketzer im Auftrag des Papstes dahingemetzelt haben!«
»Als Priester muß ich mich jedesmal in Grund und Boden schämen, wenn mir bewußt wird, daß ich genau dieser Kirche angehöre, die so etwas Unglaubliches getan hat. Du kennst sicher auch diese Erzählung über die Ereignisse damals ... als ein Offizier den Papst vor der Zerstörung der Stadt gefragt haben soll, wie sie denn eigentlich die Ketzer von den Rechtgläubigen unterscheiden sollten?«
Marie nickte. »Wer kennt diese Geschichte nicht?« sagte sie bedrückt. »Und die Antwort Seiner Heiligkeit damals lautete: ›Tötet sie alle! Gott wird die Seinen schon erkennen.‹«
Pierre schob den dicken Holzdeckel, der auf der Brunnenöffnung lag, ein Stück zur Seite und lugte hinein.
»Und diese Armee des Papstes ist seinerzeit ... bis hierher gekommen und hat die Burg in Schutt und Asche gelegt?« fragte er, während er nach einem Stein suchte.
»Sie haben das ganze Languedoc auf der Jagd nach diesen Ketzern umgepflügt. Perpignan, Narbonne, Carcassonne und zum Schluß die Belagerung des Montségur ... der letzten Festung dieser Katharer.«
»Haben die Inquisitoren damals nicht Hunderte von Menschen am Fuß dieser Burg verbrennen lassen?« Pierre ließ den Stein in das Dunkle des Brunnens fallen.
Marie nickte.
Ein entferntes Platschen drang zu ihnen herauf.
»Ich habe gelesen«, sagte sie, »daß unser Dorf Rennes im 12. und 13. Jahrhundert sogar eine bedeutende Katharerbastion gewesen ist. Und was das Interessanteste ist ... jetzt paß genau auf ...«, sie hob ihren mittlerweile berühmten Zeigefinger, »... unser lieber Bertrand de Blanchefort, der
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