Seelenbrand (German Edition)
wirklich ein falscher Prophet!‹«
Pierre fiel fast vom Brunnenrand. »Bist du sicher?«
»Natürlich!« flüsterte sie. »Ich hab’s doch selbst gelesen!«
»Manchmal«, er kratzte sich verwirrt am Kopf, »hatte ich ja schon die Befürchtung, daß wir möglicherweise nur einem Hirngespinst nachjagen, aber wenn ich dich so höre ... dann wird diese Geschichte mit der Kreuzigungslüge immer interessanter!«
»Einem anderen, einem gewissen Deodatus Jefet ... oder so ähnlich ... er wollte ebenfalls in den Orden eintreten ... und diesem hätten die Templer gesagt: ›Gaube nicht, daß jener Jesus, den die Juden gekreuzigt haben, Gott sei, und daß er dich retten könnte.‹«
Pierre sprang vom Brunnen und ging schweigend auf den gigantischen Schutthaufen zu, der früher einmal die rückwärtige Mauer der Festung gebildet hatte. Ein Riese mußte die gesamte Rückseite mit seiner Faust zerschlagen haben.
Mit großen Augen sah er sie an. »Gibt es überhaupt irgendein Buch, in das du deine Nase noch nicht hineingesteckt hast? Ich habe gedacht du wärst Archäologin und die ...«
»... graben den ganzen Tag irgendwo in der Weltgeschichte herum?« scherzte sie.
»Ja, das hab’ ich mir eigentlich immer so vorgestellt!«
»Falsch gedacht! Bevor wir graben, müssen wir zuerst wissen, wo wir graben sollen, und was wir am Ende finden können!«
Lächelnd sah er sie an. »Ist das nicht Verschwendung, wenn sich eine junge Frau jahrelang hinter irgendwelchen wurmstichigen Büchern vergräbt?«
»Ist es etwa klüger, wenn sich ein junger Mann seit Jahren in seiner tristen Soutane versteckt?« schoß sie sofort zurück.
Volltreffer! Pierre blieb für einen Augenblick die Spucke weg. Diese Frau ist einfach phantastisch!
Vom Schuttberg aus, auf dem sie standen, konnte man den ganzen Innenhof der Burg überblicken. Die verwitterten Mauern waren von einem grünen Schleier aus Gewächsen bedeckt. An einigen Stellen blühten Büschel gelber Sommerblumen und ganz oben am mächtigen sechseckigen Hauptturm, der das Zentrum der Templeranlage bildete, wuchs ein kleiner Baum auf einem Mauervorsprung.
»Die Familie Blanchefort hat die Burg immer wieder aufgebaut«, sagte Marie, während sie von der Schutthalde herabstiegen. »Ist es nicht ein interessanter Zufall, daß ausgerechnet die Mutter von diesem Papst Klemens – du weißt schon, der mit Philipp gegen die Templer und Katharer gezogen ist –, daß die Mutter dieses Papstes ... eine gewisse Ida de Blanchefort, ausgerechnet mit unserem Bertrand de Blanchefort, verwandt war, dem diese Burg hier gehörte?«
Sie suchten sich einen Weg zwischen den umherliegenden Mauerbrocken hindurch und stiegen eine kleine Treppe hinunter, die in einen leeren, fensterlosen Raum führte.
»Auf der anderen Seite des Hofs sind noch zwei Treppen«, sagte Pierre, als sie sich die Stufen wieder hinaufbewegten. »Versuchen wir es mal da drüben. Aber was sollen wir hier schon finden?« Er sah den mächtigen, sechseckigen Hauptturm hinauf, der in den stahlblauen Himmel ragte.
»Wußtest du eigentlich ...«, Marie stieg ein paar Stufen zur Burgmauer hinauf und sah hinüber, »... daß die letzte dieser Blancheforts ausgerechnet auf deinem Friedhof hinter der Kirche liegt? Vielleicht ist dir ihr Grabstein schon aufgefallen ... so ein riesiges Ding!«
Er stellte sich neben sie, und sie genossen gemeinsam die warme Sommerluft, die den Berg hinaufstieg und mit sanftem Streicheln ihre Gesichter umspielte.
»Marquise Marie d’Hautpoul de Blanchefort ...«, fuhr sie fort, reckte sich dabei über die Mauerbrüstung und sah in die Tiefe, »... sie ist 1781 gestorben, ohne irgendwelche Nachkommen zu hinterlassen. Und rate mal ... wer seinerzeit ihr einziger Vertrauter gewesen ist?«
Ein Schwarm zwitschernder Schwalben schoß über ihre Köpfe hinweg.
»Keine Ahnung, woher soll ich denn das wissen?«
»Es war ganz zufällig einer deiner Vorgänger in Rennes! Ein gewisser Abbé Antoine Bigou. Er war ihr Beichtvater und enger Vertrauter, und er war ... Pfarrer in Rennes-le-Château! Genau wie du!«
Pierre rieb sich am Kinn. »Allmählich kenn’ ich dich doch ... also, worauf willst du denn jetzt schon wieder hinaus?«
»Auf gar nichts! Ich erzähle dir doch nur, was die Leute hier schon seit Jahrhunderten wissen.«
»Nämlich ...?« Sie begaben sich wieder in den Hof hinunter und blickten die beiden anderen Treppen hinab, die aber ebenfalls völlig unspektakulär in einem leeren Raum endeten.
»Dieser
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