Seelenbrand (German Edition)
wieder zu ihm herüber und wischte sich ihre Hände an der Hose ab. »Und was bedeutet das?«
Pierre sah sie vielsagend an. »Das bedeutet ... daß wir es hier – so wie es aussieht – mit einer geheimen Organisation, einer Sekte, oder so etwas zu tun haben.« Er deutete auf den blitzenden Schild mit den zwei verschlungenen Davidsternen hinter sich. »Und ich glaube, daß jedes Mitglied dieser geheimen Gesellschaft einen solchen Anhänger als Erkennungszeichen besitzt.« Er ließdas kleine Schmuckstück, das der alte Abbé dem Totengräber kurz vor seinem Ableben übergeben hatte, an seiner Kette zwischen den Fingern hin und her baumeln. »Und vielleicht trägt unser flüchtiges Phantom genau die fehlende Kutte, die eigentlich dort an der Wand hängen müßte!«
»Und was soll das alles hier darstellen?« Marie ging langsam von Rüstung zu Rüstung, blieb kurz vor jeder stehen und klappte – mit spitzen Fingern – das Visier eines jeden Helms hoch. »Man kann ja nie wissen, ob da nicht noch jemand drinsteckt«, rechtfertigte sie sich eiligst, als sie Pierres amüsierte Blicke spürte.
Er hatte wirklich noch nie eine derartig pfiffige Person getroffen, die ebenso belesen wie praktisch veranlagt war. Und hübsch war sie darüber hinaus auch noch. Vielleicht ein bißchen rabiat ...
Pierre rieb sich das Kinn und öffnete eines der zahlreichen, bunten Glasfenster. »Guck mal! Da hinten liegt Rennes.« Er streckte seinen Kopf hinaus und sah in die Tiefe. »Und es würde mich nicht wundern, wenn das Licht, das wir in der einen Nacht von drüben gesehen haben, aus diesem Turm kam.«
Er blickte kurz zu Marie und den Rüstungen hinüber, als ihm plötzlich ein schwarzer Schatten in der halbgeöffneten Tür auffiel. Noch ehe er sich versah, fiel sie quietschend ins Schloß, gefolgt von wildem Getrampel auf der Treppe. Marie hatte zuerst gar nichts mitbekommen. Erst der Knall der schweren Tür ließ sie erstarren.
»Verdammt! Verdammt! Verdammt!« fluchte Pierre laut und stürzte zum Ausgang. »Der geht uns doch schon wieder durch die Lappen! Los komm!«
In halsbrecherischem Tempo jagte er die Treppen hinunter, wobei er bei jedem Satz drei oder vier der ausgetretenen Steinstufen übersprang. Dieser Kuttenmann mußte auf jeden Fall bis ganz nach unten zum Ausgang. Hier im Treppenhaus gab es nämlich keine Türen oder Abzweige, hinter denen er sich hätte verstecken können. Nur gut, daß er seine Soutane heute mal wieder auf dem Bügel gelassen hatte, mit dem hinderlichen Ding wäre er bestimmt schon beim ersten Schritt ins Straucheln gekommen. Aber das war jetzt seine Chance, denn die Kutte, die dieser Unbekannte trug, mußte bei seiner Flucht ebenso hinderlich sein ...
Er platzte mit voller Fahrt in den Burghof und tatsächlich ... da stand sein Kapuzenphantom auf der anderen Seite des Platzesund riß panisch am unteren Teil seines schwarzen Gewandes.
»Er hängt fest!« rief Piere Marie zu, die jetzt ebenfalls aus dem Treppenhaus herausschoß.
Er hatte es noch nicht ausgesprochen, als sich die Gestalt mit aller Kraft losriß und einen großen, schwarzen Stoffetzen zurückließ.
»Los schnell!« rief Marie aufgeregt und hüpfte auf und ab. »Er will zum Haupttor!«
Während sie sich einen Weg über die hinderlichen Mauertrümmer suchen mußten, die hier im Innenhof überall herum lagen – und das kostete wertvolle Zeit –, da huschte das Phantom bereits in den schmalen Gang, durch den sie in die Burg hereingekommen waren. Pierre fiel gerade noch auf, daß es sich um eine ausgesprochen kleine Person handelte, der die Kutte viel zu lang war. Sie schleifte mindestens eine Handbreit über den Boden, und das war ihm fast zum Verhängnis geworden. Aber das Gesicht hatte er wieder nicht erkennen können.
Als sie schließlich das Schuttfeld hinter sich gelassen hatten und ebenfalls in den engen Gang in Richtung Haupttor rannten – Marie war Pierre dicht auf den Fersen – verschwand das wehende, schwarze Gewand bereits um die nächste Ecke.
»Er ist schon auf dem Weg!« rief Pierre Marie zu, ohne sich umzudrehen. Die enge Röhre mit ihrem Kopfsteinpflaster hallte von ihrem Getrampel. »Da!« Pierre stürmte aus dem Haupttor hinaus auf den Weg. »Er ist im Stolleneingang verschwunden!«
Schnaufend hatzte er so schnell er konnte über den staubigen, leicht abfallenden Weg, der sie an diesem mannshohen und eckigen Loch in der Felswand vorbeigeführt hatte. Die kleinen Schottersteinchen unter seinen Schuhen, die von
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