Seelenbrand (German Edition)
hatte recht. Nur hatte dieser Garten die Ausmaße eines kleinen Parks. Obstbäume, wohin das Auge blickte. Wilder Wein hangelte sich an der Rückwand der Kirche und des Pfarrhauses empor und rankte sich um die Balken des kleinen weißen Holzpavillons, auf den Marie zuging. Der weiße Kies, mit dem die Wege bedeckt waren, knirschte unter ihren Schritten.
»Ich habe mir gedacht, daß Sie lieber an der frischen Luft essen möchten, als im Pfarrhaus. Tante Pauline und ich werden nachher lüften und das Bett beziehen. Wir haben angenommen, Sie kämen erst morgen«, lächelte sie entschuldigend und schritt die drei Holzstufen des Pavillons hinauf.
Von hier aus hatte man einen phantastischen Ausblick auf die gesamte Anlage, die bis an den Rand des Felsplateaus reichte, über den es fast senkrecht in die Tiefe ging. Unmittelbar an dieser Kante hatte Saunière eine massive Steinterrasse bauen lassen, die sich über mindestens zwanzig Meter am Abgrund entlangschlängelte. Zehn breite Steinstufen führten hinauf. Das gesamte Bauwerk beschrieb einen weiten Bogen, das an seinenbeiden Enden mit je einem Turm abschloß. Den größeren und wuchtigeren der beiden hatte Pierre schon vom Tal aus gesehen.
Unfaßbar! Dieses ganze Anwesen hier muß Unsummen gekostet haben! Ein wenig konnte er verstehen, daß den Bischof diese Pracht in Rage gebracht hatte. Woher hatte dieser Abbé Saunière nur das ganze Geld?
»Guten Appetit!« lächelte Marie und deutete auf die dampfende Terrine, die samt Teller auf dem Tisch stand. »Und hier sind noch ein bißchen Brot und Wein. Tante Pauline hat darauf bestanden.«
»Leisten Sie mir beim Essen Gesellschaft?« fragte Pierre geradeheraus. Er hatte absolut keine Lust, über den Vorfall von vorhin nachzugrübeln. Und das würde er garantiert, wenn er jetzt allein bliebe.
Sie wirkte ein wenig erstaunt, doch nach kurzem Zögern willigte sie ein. »Warum nicht? Wenn es Sie nicht stört, daß ich Ihnen beim Essen zusehe?« Sie nahm sich einen Stuhl und setzte sich ihm gegenüber.
»Warum tragen Sie das Mittagessen für Madame Pauline aus?«
»Ich helfe ihr in ihrer Pension.«
»Sind Sie Köchin?«
»Nein, nein, ich bin Malerin und habe mein Atelier vorn am Anfang der Dorfstraße. Deswegen war ich so beschmiert als Monsieur Billard Sie auf der Straße ...«
»Ah, der Herr Bischof ...«, fiel ihr Pierre ein wenig provozierend ins Wort.
»Ja. Entschuldigen Sie bitte. Hoffentlich halten Sie mich nicht für verrückt? Ich laufe nicht immer so farbverschmiert herum, und der Hund ist quasi nur ein Erbstück.«
»Oh nein!« Pierre machte eine abwehrende Handbewegung. »Nach meinem Auftritt gerade, könnten Sie mich für ebenso verrückt halten ... ich denke, daß damit das Konto wohl ausgeglichen ist.
Beide lachten. Die Vögel zwitscherten in den Bäumen, und das Essen war köstlich.
»Kannten Sie Abbé Saunière, Marie?« fragte er unvermittelt und nahm ein Stück Brot.
»Oh, ja! Jeder kannte ihn.«
Eigentlich hatte er erwartet, daß sie bei diesem Namenwenigstens ein wenig zucken würden, nach all den fürchterlichen Dingen, die der Bischof über diesen Pfarrer berichtet hatte. Aber ganz im Gegenteil.
»Er war ein fabelhafter Mensch«, fuhr sie eifrig fort, »und hat viel für die Gemeinde getan. Erinnern Sie sich an die Straße, auf der Sie gekommen sind?«
»Ja, die Rue Saunière.«
»Er hat sie vom Tal aus bis zu uns in den Ort bauen lassen und jedem Haus zu einer eigenen Wasserpumpe verholfen.«
Pierre war über die Maßen erstaunt. Davon hatte sein vernaschter Vorgesetzter nichts gesagt.
»Außerdem«, ihr Redeschwall war nicht mehr zu stoppen, »hat er hier in diesem kleinen Park wunderschöne Feste für die ganze Kirchengemeinde ausgerichtet. Einfach so!« Sie war hellauf begeistert und nahm ihm seine neugierige Fragerei nicht übel.
»Und die Villa da?« Er deutete über seine Schulter.
»Ach, die sollte so eine Art Ruhesitz für pensionierte Geistliche aus der ganzen Diözese werden. Abbé Saunière hat selbst nie darin gewohnt.«
Und dieser selbstlose Mensch soll jetzt in der Hölle sitzen? Das hatte ihm der Bischof doch mit bleichem Gesicht versichert. Sprachen sie überhaupt von derselben Person?
Da Marie keinerlei Argwohn gegen ihn hegte und scheinbar alles ausplauderte, was sie wußte, brachte er die Frage auf den Punkt, der ihn am meisten interessierte. »Wie hat er das alles nur bezahlt? Er war doch auch nur ein einfacher Landpfarrer, so wie ich?«
Marie versicherte sich
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