Seelenbrand (German Edition)
mit einem kurzen Blick nach rechts und links, daß sie niemand belauschte und beugte sich leicht über den Tisch in seine Richtung. »Die Kirche ...«, sagte sie geheimnisvoll und nickte dabei vielsagend mit dem Kopf, »... er hat Gold in der Kirche gefunden.«
»Woher wissen Sie das?« Er beugte sich ihr entgegen und zog ebenso geheimnisvoll seine Augenbrauen hoch.
»Sie glauben mir nicht, Abbé!« rief sie mit gespielter Entrüstung.
»Doch, doch.« Er machte eine beschwichtigende Geste.
»Jeder im Dorf weiß es. Er hat in der Kirche einen Goldschatz gefunden.«
Pierre lachte. »Reden wir hier von Gold, Schätzen, Piraten und solchen Sachen. Wie in Stevensons Schatzinsel ?«
»Oh«, sagte sie zu seinem größten Erstaunen triumphierend, »glauben Sie nicht, daß Sie mir da etwas voraus hätten. Ich kenne das Buch seit meiner Jugendzeit auswendig!«
Donnerwetter! Das hatte er nicht gedacht.
Sie zupfte sichtlich stolz ihre hochgesteckten Haare zurecht. »Ich bin nicht die törichte Person, für die Sie mich vielleicht halten!«
Er wollte lieber wieder auf die Sache mit der Kirche und dem Gold zurückkommen.
»Also ...«, holte sie aus, »... Claude Olivier war in der Kirche dabei, als sie die Münzen gefunden haben. Er war einer der Maurer aus dem Dorf, die bei der Renovierung der Kirche geholfen haben. Das hat sich natürlich wie ein Lauffeuer verbreitet, und in kürzester Zeit wußte es jeder.«
»War das schon alles?« Eigentlich hatte er auf ein paar spannende Details gehofft.
»Nein, nein! Zügeln Sie Ihre Neugier, Abbé«, sagte sie lachend und genoß es offensichtlich, daß sie etwas wußte, das ihn so brennend interessierte. »Nun, als sie eine dieser schweren Bodenplatten angehoben hatten, um sie auszutauschen, soll es fürchterlich geknackt haben, und unser Claude hat darunter etwas entdeckt.«
Pierre war ganz Ohr.
»Und als sie die Skelette beiseite geräumt hatten, haben sie diesen Kasten gefunden.«
»Skelette?« Ihm standen die Nackenhaare hoch. »Wollen Sie damit etwa sagen, Marie, daß unter meinem Kirchenboden einfach so die Skelette herumliegen?«
Sie nickte vielsagend. »Wissen Sie eigentlich, an welchem Ort Sie sich hier befinden?«
Zu seiner Schande mußte er eingestehen, daß er außer den paar Dingen, die ihm der Bischof über dieses Nest aufgedrängt hatte, nichts mehr zur örtlichen Geschichte gelesen hatte. Schließlich war er ja auch nicht zum Vergnügen hier.
»Wenn Sie Lust haben, werde ich Ihnen etwas zeigen«, sagte sie in ihrer forschen Art und war schon vom Tisch aufgestanden.
Warum nicht? Es ist noch früh am Tag, ich habe Zeit genug, und sie scheint es auch nicht sonderlich eilig zu haben. In diesem muffigen Pfarrhaus muß ich noch die ganze Nacht verbringen.
Sie gingen über einen der weißen Kieswege, die sich alle im Zentrum des kleinen Parks an einem Rondell trafen, in dem der Springbrunnen gerade gurgelnd eine Wasserfontäne in die Luft spuckte. Zügig stieg sie die Stufen zur steinernen Terrasse hinauf, die am Ende des Gartens lag, direkt am Rand des Plateaus. Dabei bemerkte Pierre, daß sie eine weiße Leinenhose trug, genau wie vorhin, als sie sich zum erstenmal getroffen hatten. Es war ihm nur deshalb aufgefallen, weil er seit seiner Jugend daran gewöhnt war, daß junge Damen graue Röcke oder schwarze Kleider trugen, aber keine Hosen.
Von der Terrasse aus hatte man einen atemberaubenden Blick auf die grüne Ebene, die sich unterhalb des Plateaus ausdehnte.
»Sehen Sie ...«, Marie deutete auf einen anderen Berg, der nur wenige Kilometer entfernt lag, »... le Bézu! Dort steht die Ruine einer mittelalterlichen Festung. Sie war einst ein Ordenshaus der Tempelritter. Und dort hinten«, sie zeigte in eine andere Richtung, »dort kann man die Ruinen von Blanchefort sehen, dem Familiensitz Bertrand de Blancheforts. Er war der vierte Großmeister der Tempelritter.«
Pierre war außerordentlich erstaunt. »Woher wissen Sie das alles?«
»Es gibt kaum einen Flecken im Umkreis, den ich noch nicht gemalt habe. Die Ruinen haben so etwas schön Schauriges an sich, und das gefällt mir.«
Schön schaurig? Eine schreckhafte Person ist sie nicht!
»Und die ganzen Skelette in meiner neuen Kirche ...«, fragte er angeekelt, »... was haben die damit zu tun?«
»Da, wo Sie jetzt stehen, Abbé du Lac«, Pierre sah andächtig auf seine Füße hinunter, »stand vor über eintausend Jahren eine Stadt mit dreißigtausend Einwohnern. Dieser Ort hier war sogar
Weitere Kostenlose Bücher