Seelenbrand (German Edition)
er damit?« flüsterte Marie.
Pierre schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht!« hauchte er zurück. »Aber warten wir mal ab, was passiert ... vielleicht kann er uns etwas über diese Inschrift im Kirchenboden sagen!«
Severin hob verzückt seine Hand und deutete in die Höhe. »Ist der Himmel nicht wunderschön blau? Und sind die Schmetterlinge nicht herrlich bunt?«
»Das Pulver! Das Pulver!« zischte Marie. »Schnell, gib ihm davon, sonst schnappt er gleich über!«
»Bist du verrückt!« raunte Pierre zurück. »Ich bringe ihn doch nicht um, jetzt wo er uns alles sagen will!«
Der Bruder schien von dem Gezische und Geflüster gar nichts mitbekommen zu haben. Plötzlich wurde er stocksteif und seine Augen wurden starr.
»Gleich kippt er um!« rief Marie und wollte Pierre das Arsenpulver mit Gewalt aus seiner Hosentasche reißen.
»He! Weib! Finger weg da!« wehrte der sich gegen die gewaltsame Zudringlichkeit seiner Haushälterin.
»Wißt ihr ...«, Severins Stimme war so klar, daß sie ihr kraftvoller Klang aufblicken ließ, »... das alles hier ... hat der Teufel gemacht!«
Pierre, der Marie den Arm auf den Rücken gedreht hatte, um sie von seiner Hosentasche und dem Arsenpulver fernzuhalten, lockerte seinen Griff und starrte zu seinem Gast hinüber. Dann sah er Marie an, die so geschockt war, daß sie das Pulver augenblicklich vergaß.
Severin nickte langsam. »Ja, so ist es ... der Teufel ist in Wahrheit unser aller Vater! Genau so wie es bei Johannes steht!«
Marie sah Pierre heimlich von der Seite an.
»Jetzt fängt er an zu spinnen!« zischte der und tippte sich unmerklich an die Stirn. »Kein Mensch ist je auf die Idee gekommen, Johannes so zu verstehen!«
»Mir ist völlig klar ... daß ihr mir nicht glaubt«, fuhr Severin unbeirrt fort.
Hat er doch etwas von unserer Tuschelei mitbekommen?
»Jeder nachdenkliche Mensch muß sich auf dieser Welt doch fragen ...«, entrückt sah er aus dem Fenster in den blauen Himmel, »... wie es der barmherzige Gott im Himmel zulassen kann ... daß es so viel Grausamkeit und Schmerz auf seiner Welt gibt.« Seine Stimme klang ruhig, und das nervöse Gezappel war weg. »Wie kann es sein ...«, er blickte Pierre und Marie fragend an, »... daß er es zuläßt, daß ein Mensch einen anderen umbringt ... daß Krankheiten und Seuchen die Leute langsam und grausam sterben lassen? Wo ist Gott?« Fragend hob er seine beiden Hände gegen den Himmel. »Wo ist er, frage ich euch?«
Seinen Zuhörern war das innere Grinsen vergangen.
»Wo war er ... als sie unschuldige Menschen – und sogar die Kinder – gequält und verbrannt haben? Und das alles auch nochin seinem Namen?« Mit weit aufgerissenen Augen sah er sie an. »Zeigt mir nur einen Menschen ... der in seinem Leben noch nicht auf diese Frage gestoßen ist!«
Bedächtig schritt er wieder zum geöffneten Fenster zurück. »Er schuf den Menschen ... nach seinem Abbild!« Von der Last der Gedanken gebeugt, stand er da. »Wie kann es dann aber sein ... daß das Böse so tief in den Menschen steckt? Wie kann es denn sein, daß das Böse alles Gute in einem Sturm hinwegfegt ... daß es unbarmherzig tötet?
Wenn die Welt von einem guten Gott geschaffen worden ist ... warum hat er sie nicht vollkommen und friedlich gemacht ... so wie nach seinem Abbild? Wie hätte ein gütiger Gott dem Menschen einen Körper geben können, der nur dazu bestimmt ist, zu sterben, nachdem er ihn vorher mit Leiden aller Art gemartert hat? Wie kann Gott das alles zulassen?« seufzte er noch mal aus tiefster Seele.
Nach einer Weile des Schweigens drehte sich Bruder Severin vom Fenster weg und kam, langsam und bebeugt – wie von einer Felsenlast in die Knie gezwungen – zu ihnen herüber. »Die Antwort auf all das ...«, seine geröteten und vertränten Augen kamen ihnen ganz nah, so nah, daß sie seinen Atem riechen konnten, »... die Antwort auf all das liegt in diesen Mauern ... und er hat sie gefunden!« schnaufend ließ er seinen Kopf niedersinken. »Ich bin jetzt der einzige, der die Antwort ... auf diese wichtigste Frage der Menschheit kennt. Diese Last ist unerträglich!«
»Wie lautet die Antwort?« flüsterte Pierre, der als erster seine Stimme wiedergefunden hatte, während Marie immer noch stocksteif neben ihm hockte.
Severin blickte ihn mit seinen müden Augen an und kam noch näher. »Wir leben alle in der Hölle!« hauchte er und fixierte Pierres Augen, um seine Reaktion abzuwarten. »Gott ist weit ... weit weg! Das
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