Seelenbrand (German Edition)
Böse herrscht über uns ... Und es gibt für niemanden ein Entrinnen!« fügte er gequält hinzu. »Wir leben alle in der Hölle! Erst seitdem ich das weiß ... ergibt mein ganzes Leben ... und all meine Gedanken einen Sinn!« Die Beine versagten ihm ihren Dienst, und er sackte auf dem Stuhl zusammen.
»Nein, nein! Es geht schon«, wehrte er ab, als Pierre aufspringen und ihm helfen wollte. »Wir haben hier wichtigere Dinge zu klären ... mein Leben ist bedeutungslos in diesem Spiel.«
Pierre blickte sich kurz zu Marie um, da er schon lange nichts Vorlautes mehr von ihr gehört hatte. Sie saß regungslos neben ihm. Ihre Augen starr und ihre Wangen leicht gerötet, so als hätte sie das Fäßchen Cognac heimlich ausgetrunken. Kein Wort kam über ihre Lippen.
»Denken Sie scharf nach, junger Freund!« flüsterte Severin und griff nach Pierres Hand. »Denken Sie nach ... junger Freund!« Schnaufend nickte er vor sich hin. »Nur so macht alles auf der Welt einen Sinn! Das Morden ... und die Grausamkeiten ...« Ein Lächeln huschte über seine Lippen. »Da fürchten wir uns zeitlebens vor der Hölle und dem Tag, an dem wir für unsere Sünden im Fegefeuer büßen müssen, und dabei ...«, er wischte sich den Schweiß von seiner faltigen Stirn, »... und dabei sitzen wir schon mittendrin ... ohne es zu ahnen!« Er holte tief Luft. »Ich will Ihnen eine kleine Geschichte erzählen, die alles erklärt! Und passen Sie genau auf ... denn Sie werden vieles wiedererkennen.«
Der Kräuterbruder hatte Mühe, aufrecht am Tisch zu sitzen. Die Last, die er trug, drückte ihn immer wieder hernieder. »Es waren einstmals sieben Himmel, die das Reich Gottes und seiner himmlischen Heerscharen bildeten. Jedem Himmel stand ein besonderer Engel vor, und im siebten Himmel ... da thronte der Allerhöchste selbst!«
Pierre langte vorsichtig über den Tisch und griff nach dem Arm des Kräuterbruders. »Ist das aus den Apokryphen? Aus dem Evangelium des Bartholomäus?«
Severin lächelte. »Ich kenne diese Schrift, von der du sprichst ... aber das, was ich dir jetzt erzähle, entspringt einer anderen Quelle. Es ist das Wissen, vor dem die Kirche eine derartige Angst hatte, daß sie jeden, der diese Wahrheit verbreitete ... zum Ketzer erklärte. Als sich diese Wahrheit schließlich doch unaufhörlich unter den Gläubigen verbreitete, rief der Papst erstmals zu einem Kreuzzug auf, der sich gegen seine eigenen Kinder richtete. Christen ermordeten Christen ... im Namen Gottes. Und warum?«
Pierre zuckte mit den Achseln, er wollte die Antwort vom Bruder selbst hören.
»Weil diese Wahrheit bedeuten würde, daß die Kirche ... ja, daß sogar der Papst selbst ... wie jeder andere Mensch ... in derHölle sitzt! Daß das ganze heilige Getue nur dazu gedacht ist, die unwissenden Seelen zu beeindrucken. Und in Wirklichkeit sitzt die ganze Menschheit nebeneinander in einem einzigen Boot. Es gäbe niemanden, der besser wäre, als der andere ... oder der moralisch über seinem Nächsten stünde. Auch nicht, wenn er sich mit Kreuzen und Kirchengewändern schmückte ... wie es die heiligen Herren da oben so heuchlerisch tun, um ihre Macht über die Menschen zu bewahren. Sie waren nach der Lehre der Katharer – genau, wie alle anderen Kreaturen auf der Erde – Geschöpfe des Teufels ... jeder ... ohne Ansehen der Person!«
Pierre nickte und sah Severin tief in die Augen. »Es war Luzifer, nicht?« flüsterte er.
»Er war der oberste Engel ... und Gott hatte ihm die Aufsicht über alle Himmel anvertraut«, fuhr Bruder Severin monoton fort. »Seine Macht verblendete ihn, und er wollte sein ... wie Gott. Daraufhin verführte er vier hohe Engel ... und ein Drittel der himmlischen Heerscharen dazu, ihm bei seiner Rebellion zu folgen. Gott, der Herr, der längst von allem wußte, verbannte alle Beteiligten aus seinem himmlischen Reich und nahm Luzifer, dem Träger des Lichts – der sein Lieblingssohn war – das sanfte und reine Licht, das er besessen hatte. Statt dessen erhielt er jetzt einen – wie von glühendem Eisen verbreiteten – roten Schein ... der uns allen als das Feuer der Hölle bekannt ist. Den Engeln, die seinem Sohn gefolgt waren, nahm der Herr ihre Kronen und Kleider ... und sie flüchteten mit Luzifer bis an das Ende des Firmaments. Da der Verstoßene nun seinen Vater im Himmel anflehte, doch Geduld mit ihm zu haben, erlaubte Gott ihm schließlich, sieben Jahrhunderte lang alles das zu tun, was er für richtig hielt ... aber nur, wenn
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