Seelenbrand (German Edition)
neben sie an den Tisch. »Das ist überhaupt nicht nötig. Die meisten Menschen wissen nicht einmal, daß es noch etwas anderes gibt als das Neue Testament!«
Severin stimmte zu. »Aber lies nur weiter ... denn dieser Hades hatte ja schon Angst vor Jesus, bevor er ihn überhaupt gesehen hatte ...«
»Ja, hier geht’s weiter! ›Erbe der Finsternis, Sohn des Verderbens ... Teufel! Du hast mir da gesagt, daß er viele, die du fürs Begraben hergerichtet hattest ... durch das Wort allein ... lebendig gemacht hat.‹« Marie holte Luft. »›Wenn er andere von dem Begrabenwerden befreit hat ... wie ... und mit welcher Kraft sollte er da von uns ... festgehalten werden? Vor kurzem hatte ich einen Toten mit Namen ... Lazarus verschlungen ... und bald danach hat ... einer von den Lebenden ... durch das Wort allein ... ihn gewaltsam aus meinem Inneren heraufgezogen. Ich glaube ... daß das der gewesen ist, von dem du sprichst. Wenn wir den da aufnehmen ... so fürchte ich, daß wir auch wegen der übrigen in Gefahr geraten. Denn siehe ... bei allen, die ich von Urzeiten her verschlungen habe, beobachte ich ... daß sie auf einmal unruhig sind ... und ich habe Schmerzen im Bauch.‹«
Marie mußte nervös schlucken und las dann begierig weiter.
»›Deswegen beschwöre ich dich bei deinem und meinem Wohlergehen, ... bring den, von dem du sprichst ... nicht hierher! Denn ich glaube ... daß er hier nur deswegen erscheint ... um alle Toten auferstehen zu lassen. Das sage ich dir ...‹«, Maries Stimme bebte, »›... bei der Finsternis, die uns eigen ist! Wenn du ihn hierherbringst ... wird mir kein einziger von den Toten übrigbleiben.‹«
Stille.
Sie schob das Buch zur Seite und blickte Bruder Severin an. »Augenblick mal! Wir alle ...«, sie versuchte erst mal ihre Gedanken zu ordnen, »... wir Menschen sollen also die Toten sein, von denen hier die Rede ist. Und die hat der Teufel in der Hölle eingesperrt ... die den Namen Erde trägt?«
Severin legte seine Hand auf die ihre. »Du hast es wahrlich verstanden. Und der, vor dem sie sich fürchten – weil er vom Allmächtigen geschickt worden ist –, der soll die Menschen daran erinnern, daß nicht die Erde ... sondern die sieben Himmel auf der anderen Seite des Firmaments ... ihre Heimat sind. Wie du noch sehen wirst ... hat Gott mit dem Teufel so eine Art Handel vereinbart.«
»Gott handelt mit dem Teufel?«
»Oh ja! Warum nicht?« Aus Severin sprudelte es wieder heraus. »Ich will der Geschichte zwar nicht vorgreifen, aber es geht darum, daß beide Seiten – das Gute und das Böse – um die Seele des Menschen werben sollen. Vergiß nicht«, er hob den Finger, »wir sind – glaubt man der Geschichte – abtrünnige Engel, die zur Strafe an diesen Ort geworfen worden sind. Und bevor wir dahin zurückkehren dürfen, von wo wir kommen, müssen wir beweisen, daß wir unsere Auflehnung gegen den Allmächtigen auch wirklich bereuen ... und dem Bösen, dem Teufel, entsagen. Der hat uns ja schließlich damals dazu verführt, sich seinem Aufstand gegen Gott anzuschließen.« Er machte eine Pause.
»Sprich nur weiter!« ermunterte ihn Marie. »Ich kann dir durchaus folgen!«
»Also ... es gibt nun diesen Handel zwischen Gott und dem Teufel, dessen Untertanen wir momentan sind. Weil wir uns ja nicht mehr daran erinnern können, daß wir einstmals gute Engel des Herrn waren, soll – gewissermaßen als Prüfung – unserfreier Wille darüber entscheiden ... ob wir den Argumenten der guten Seite folgen wollen – denk an Jesus und seine Predigten, die zehn Gebote und all die Dinge –, oder ob wir uns freiwillig der bösen Seite anschließen wollen. Sie lockt uns mit Geld und Macht. Aber alles ist mit Gier, Geiz, Raub, Mord und Totschlag behaftet ... Wir haben die freie Wahl! Wir entscheiden, welcher Seite wir uns anschließen wollen.« Er holte tief Luft. »Im übrigen hätte Gott diesen Handel gar nicht einzugehen brauchen ... er tat es nicht aus Schwäche – denn er hätte sämtliche verräterischen Engel mit einem Hauch pulverisieren können –, aber der freie Wille seiner Geschöpfe ging ihm über alles ... und er wollte sie einfach nicht mit Gewalt an sich binden.«
»Und um Werbung für die gute Seite – eben für seine sieben Himmel – zu machen, da hat er Jesus geschickt?« fragte Marie.
Das Pfarrhaus dröhnte vom lauten Lachen der beiden Männer. Pierre und Severin hielten sich den Bauch. Dem Bruder rannen sogar kleine Tränen über die Wange. »Das
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