Seelenbrand (German Edition)
Erzengel Gabriel besiegt worden war und auf die Erde stürzte, ertönte eine Stimme, die – sinngemäß – folgendes sagte: ›Jetzt ist er da ... der große Sieg. Darum jubelt ihr Himmel und alle die darin wohnen. Wehe aber euch, Land und Meer!‹« Severin hob den Finger. »Jetzt paßt genau auf! ›Denn der Teufel ist zu euch hinabgekommen ... und seine Wut ist groß!‹«
Marie blickte Severin ungläubig an.
»Da hinten liegt die Bibel!« Pierre klopfte ihr auf den Arm. »Sieh nach! Es stimmt, was er sagt! Aber ...«, er wandte sich wieder Severin zu, »... was diese Interpretation der Zeilen angeht, so fürchte ich, werden wir niemanden finden, der uns glaubt!«
»Die Sache ist einfach zu wahnsinnig ... Ich bin auch erst darauf gekommen, als mir der alte Saunière vom Glauben der Katharer erzählt hat. Dazu sein lapidarer Hinweis, daß alles in der Bibel stünde ... was den Teufel und die Hölle auf Erden anginge. Versteckt, aber es wäre da. Und trotzdem wäre es aussichtslos, irgend jemanden davon überzeugen zu wollen ... weil niemand die Wahrheit hören wolle.«
»Hat er damit die Kirche erpreßt?« fragte Pierre, während Marie wie wild in der Bibel auf dem Schränkchen blätterte.
»Ich glaube nicht.« Severin strich sich müde durch die Haare. »Solche verschrobenen Theorien über den Teufel auf der Erde ...«, er zuckte mit den Achseln, »... so etwas nötigt denen da oben in Rom nicht einmal ein Lächeln ab. Sie sind geübt in diesen Dingen ... und müssen die Kirche pausenlos gegen irgendwelche Irrlehren in Schutz nehmen. Außerdem wären unsere Annahmen ... einfach nicht zu beweisen. Womit sollte man die Kirche also erpressen wollen?«
»Nur mit dem Leibhaftigen selbst!« brummte Pierre.
Severin schreckte hoch. Beruhigend hob Pierre seine Hände. »Ein Scherz!« rief er. »Das war nur ein Scherz!«
Severin sackte wieder zusammen. »Und selbst, wenn du den Teufel in Ketten auf den Petersplatz nach Rom zerren würdest«, sagte der Kräuterbruder nach einer Weile, »wird die Kirche behaupten, es sei nur ein Hirngespinst. Und selbst wenn der Satan den Papst – vor den Augen aller Kardinäle – an seinem Kragen durch den Vatikan schleifen würde und so die Allmacht des Bösen zur Schau trüge ... sie würden alles leugnen ... niemals würden sie zugeben, daß sie – trotz ihres heiligen Getues – der Macht des Teufels genauso ausgesetzt sind, wie die armen Sünder, auf die sie so hochmütig herniederblicken. Weil sie, wie wir alle ... in ein und derselben Hölle sitzen!«
Das aufgeregte Blättern von Marie war das einzige Geräusch in der Küche. »Aber dann wäre das Pfarrhaus doch auch ein Teil der Hölle, oder?« rief sie hinüber und sah sich ratlos um. »Und wo ist das Höllenfeuer?« Sie machte mit der Hand eine hilflose Bewegung. »Ich weiß, es hört sich vielleicht ein bißchen naiv an ... aber ... die Hölle stellt man sich eben ... mit lodernden Flammen und ... na, ihr wißt schon ... vor!«
»Das hat etwas für sich, was sie sagt«, nickte Pierre und sah Severin an. »Die Sache mit dem Höllenfeuer und der Finsternis, wie sie im Nikodemus-Evangelium beschrieben werden, vermisse ich tatsächlich in deiner Geschichte.«
»Ja, ja!« seufzte der Kräuterbruder. »Die apokryphe Schrift des Nikodemus.« Er blickte Pierre an. »Du bist der einzige Priester, den ich kenne, der sich mit diesen verborgenen Evangelien so gut auskennt.«
»Ich muß einfach wissen, wo meine Seele bleibt, wenn sie eines Tages ... ich will es nicht nur glauben ... ich muß es wissen «, antwortete Pierre versunken.
»Hast du bei Nikodemus eine Antwort darauf gefunden?«
»Wie wäre es«, mischte sich Marie ein und kam mit der aufgeschlagenen Bibel zurück zum Tisch, »wenn ihr ein wenig mehr Rücksicht auf einen Menschen nehmen würdet, der diesen ... Nikodemus noch nicht so gut kennt, wie ihr?«
Zum erstenmal entfuhr dem Kräuterbruder ein lautes Lachen. »Bitte, junger Freund«, er deutete mit der Hand in Pierres Richtung, »klären wir ihr zuliebe endlich die Sache mit dem Höllenfeuer!«
»Ja, es ist faszinierend! Dort gibt es tatsächlich eine Erzählung, die sich mit dem Abstieg Christi in die Unterwelt beschäftigt. Genau, wie es im Glaubensbekenntnis steht ›... hinabgestiegen in das Reich des Todes ...‹ und nirgendwo sonst findet man in der Bibel einen Hinweis darauf, was in dieser Zeit – eben bis zum dritten Tag, an dem er auferstanden ist – geschehen ist.«
Severin lächelte, und Marie
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