Seelenbrand (German Edition)
zu sich zu holen ... er hatte diesen Plan lange vor allen verborgen gehalten ... Besonders die Mächte der Finsternis sollten nichts von seinen Gedanken erfahren ... Dieses geschah deshalb ... damit die Hölle ... also der Teufel auf der Erde ... seinen Plan nicht zunichte machen konnte. Dem Bösen sollte verborgen bleiben ... daß die Menschwerdung des Sohns, sein Leiden und seine Kreuzigung ... der einzige Weg war, um den Satan für immer zu besiegen und die Engel zurück in die Himmel zu führen ... aber nur die guten, die es sich verdient hatten ... Denn hätte der Satan gewußt ... daß die Kreuzigung ... die entscheidende Voraussetzung für seine eigene Niederlage gewesen war ... dann hätte er sie mit aller Macht verhindert ... anstatt sie mit allen Mitteln herbeizuführen ... Als Jesus am Kreuze starb und flehend rief: ›Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?‹ ... da standen Legionen von Engeln bereit, um ihm zu helfen ... Aber auf Gottes Willen hin ... durfte sich keiner von ihnen ihrem Mitengel nähern ... auch wenn sie sich immer wieder beim Allmächtigen einfanden und diesen darum baten, einen anderen Weg für die Befreiung der Menschen aus der Hand Luzifers zu ersinnen.«
Pierre hörte gespannt zu. »Ein Wimpernschlag von ihm ... und jeder dieser Teufel, die damals Hand an ihn legten ... wäre vernichtet worden. So denke ich mir das wenigstens, wenn ich diese Stelle in der Bibel lese ... Aber er hat es geschehen lassen ... Ich verstehe nur nicht ganz ... wie das der Plan des Allmächtigen sein konnte?«
Severin fuhr sich müde übers Gesicht. »Es ging um den freien Willen, mein junger Freund ... Jesus sollte aus freien Stücken auf der Seite des Guten bleiben ... Genau darum ging es! ... Egal wie sehr man seinen menschlichen Körper auch quälte ... er sollte den gefallenen Engeln zeigen, daß es möglich war, allen Versuchungenzu widerstehen ... und dem Bösen nicht nachzugeben!«
»Dann sollte er den Menschen also dadurch zeigen«, mischte sich Marie interessiert ein, »daß er sich aus freiem Willen diesem grausigen Tod unterworfen hat?«
»Ja«, antwortete Severin. »Es war absolut nicht ausweglos. Er hätte nicht zu sterben brauchen. Ein Wort des Bedauerns von ihm ... etwa vor den Pharisäern oder vor Pilatus – wegen des Aufruhrs, den er mit seinen Reden ausgelöst hatte –, vielleicht hätte ihm das sogar das Leben gerettet ... Wäre er den Versuchungen des Teufels schon früher erlegen, der ihm alle Reiche der Weltenhölle schenken wollte, dann hätte er seinem schmerzhaften Tod auf einfache Weise entrinnen können. Aber ...«, er betonte diese Stelle besonders, »damit hätte er nichts anderes getan als Luzifer ... der seinerzeit seinen Herrn im Himmel verraten hatte.«
»Also, Moment mal!« Marie fuchtelte mit den Händen herum. »Selbst auf die Gefahr hin, daß ihr glaubt, ich sei schwer von Verstand ... soll das etwa heißen, daß Gott diese ganze Sache mit der Quälerei und der Kreuzigung so grausam wie möglich hat ablaufen lassen ... nur, um den Menschen hier unten ... auf der Höllenerde ... zu beweisen, daß sie alle genausoviel Kraft besäßen ... wie sein erster Engel am Kreuz ... daß sie selbst mit dieser eigenen, inneren Kraft zurück in die sieben Himmel gelangen könnten?«
Pierre führte ihren Gedanken zu Ende. »Genau das ist es! Jesus sollte zeigen, daß er sich ... trotz der schlimmsten Gewalt, die man seinem irdischen Körper zufügte ... daß er sich trotzdem für seinen Herrn in den sieben Himmeln entschied.«
»Er hat den direkten und kürzesten Weg gewählt«, flüsterte Severin. »Und die Botschaft für die Höllenengel – für uns – sollte sein: Seht her ... wenn ich es schaffe ... unter diesen Qualen ... den Glauben an die Liebe und die Güte und an den Herrn in den sieben Himmeln nicht zu verlieren ... und wenn ich lieber sterben will ... als so wie ihr, als Menschen ... in den Klauen Luzifers hier unten zu leben ... wenn ich standhaft bleibe ... so könnt ihr es auch ... Und alles was ihr dafür tun müßt ... ist euch gegen das Böse zu entscheiden ... dort wo ihr ihm begegnet! Ihr verliert nicht einmal euer irdisches Leben, an dem ihr so hängt ... aber ihr seid mit jedem ... ›Nein‹ ... den Himmeln wieder ein Stück näher.«
»Stand das alles auf diesem Pergament, das der alte Saunière so gehütet hat?« Pierre goß sich Wasser nach.
»Nein, es ergibt sich aber daraus, was dort über den Aufbau unserer Erdenhölle stand.«
Weitere Kostenlose Bücher