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Seelenbrand (German Edition)

Seelenbrand (German Edition)

Titel: Seelenbrand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Mickholz
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Sonnenstrahlen wurden in einem wirren Muster gebrochen und schwirrten wie kleine Glühwürmchen durch diese steinerne Kammer, aber ohne sie zu erhellen.
    »Was hat das hier zu bedeuten?« zischte Pierre leise, ohne ernsthaft zu glauben, daß Marie, die sich hinter ihm versteckt hatte, ihnen jetzt mit ihrem Mundwerk weiterhelfen konnte.
    Der ganze Raum, einschließlich der Kuppel, war mit einem schwarzen Stoff ausgekleidet, der jeden Lichtstrahl in sich aufsog.
    »Diese vielen, vielen Bilder!« meldete sie sich schließlich leise zurück. »Warum hat er nur diese vielen Bilder hier oben versteckt?«
    »Es müssen Hunderte sein! Eine ganze Sammlung.«
    Da ihnen hier keine Gefahr zu drohen schien, wagten sie es, sich im Schein der Lampe vorsichtig umzusehen. Die schwarzen Wände waren übersät mit Bildern aller Größe. Sonst befand sich nichts in dieser Kammer.
    »Sehen Sie sich das an, Marie!« Er stockte und fühlte den Schuß Adrenalin. Sein Herz begann zu klappern. Er war mit seiner Lampe näher an die Bilder herangetreten und vor Ehrfurcht augenblicklich erstarrt. »Sehen Sie, was ich sehe?«
    Sie kam vorsichtig nähergeschlichen und kniff die Augen zusammen. »Was meinen Sie, Abbé?«
    »Sehen Sie genau hin! Fällt Ihnen an den Motiven etwas auf?« Sie sah ihn aufgeregt von der Seite an, und er nickte. »Hier hängen Hunderte von Bildern, und alle zeigen das Letzte Abendmahl Christi!«
    »Da! Das erkenne ich sofort!« Sie zeigte mit dem Finger auf ein Gemälde, das gerade noch vom Lichtkegel der Laterne gestreift worden war. »Das Abendmahl von Leonardo da Vinci! Eine Kopie der Wandmalerei auf Leinwand.« Sie war hellauf begeistert. »Phantastisch! Sehen Sie sich nur diese Farben an!«
    Marie hatte offensichtlich ihre Furcht vor diesem unheimlichen Gewölbe verdrängt und war leichtfüßig zu dem Bild herübergehüpft. »Es ist unglaublich«, hauchte sie, während sie mit ihren Fingern sanft über seine Oberfläche strich.
    Pierre behielt trotz ihrer Euphorie lieber die Tür im Auge. Man kann ja nie wissen! Als er seinen Blick wieder über die Unmengen von Bildern schweifen ließ, bemerkte er, daß an jedem Gemälde – meist in der unteren rechte Ecke – eine kleine, hölzerne Tafel hing. Langsam trat er an eines dieser Kunstwerke heran, um besser lesen zu können, was darauf stand.
    Dierick Bouts, A BENDMAHLSALTAR ,
1464-67, Holz, Mitteltafel, 180 x 151 cm, Löwen, S. Peter
    Er sah sich um und nickte schweigend, während Marie immer noch vor ihrem Bild hockte.
    »Der alte Abbé hat hier oben Gemälde zusammengetragen, die alle das Letzte Abendmahl von Jesus Christus zeigen.« Er ging langsam zum nächsten Kunstwerk hinüber. »Ob das Originale oder Kopien sind«, seine Finger fuhren über die Farbe, »kann ich nicht beurteilen.«
    »Was diese Malerei von Leonardo da Vinci angeht«, Marie hockte immer noch am Boden, »da bin ich mir sicher, daß dieses hier nur eine Kopie ist.« Sie erhob sich und wischte sich die staubigen Hände an ihrer weißen Hose ab. »Bei dem Original handelt es sich nämlich um ein überdimensionales Wandbildnis, und diese verputzte und bemalte Mauer steht immer noch unverrückbar in Mailand!«
    Pierre nickte. »Dann hat er sich vielleicht in den Fällen, in denen die Originale – wie diese Wand hier – nicht zum Verkauf standen, eine eigene Kopie herstellen lassen.«
    »Und warum?« Sie sah ihn erwartungsvoll an.
    »Woher soll ich das wissen?« Er zuckte hilflos mit seinen Schultern. » Sie haben den Alten doch gekannt!«
    »Wollen Sie damit etwa sagen«, meckerte sie, »daß ich ihn zu Lebzeiten ausspioniert hätte?«
    Mein Gott! Seine neue Bekannte war ganz schön geladen! Vielleicht war sie heute mit dem falschen Fuß aufgestanden, und ihre Bissigkeit war nur eine vorübergehende Erscheinung. Um sich nicht gleich am ersten Tag mit jemandem zu streiten, tat er so, als hätte er ihr nicht zugehört. »Seltsam, hier hat er zwei Zeichen auf dem Gemälde hinterlassen.« Er hielt die Lampe noch näher an das Bild.
    »Hier auch!« rief Marie, die sich immer noch nicht von der da Vinci Kopie losreißen konnte und schon wieder auf den Knien saß. »Über den Köpfen zweier Personen!«
    »Ja, genau wie hier«, flüsterte er, während der flackernde Lichtschein seiner Lampe eine andere Leinwand erhellte.
    Justus von Gent, D IE E INSETZUNG DES A BENDMAHLS ,
1473-74, Öl auf Holz, 287 x 222 cm
    Die Gänsehaut schlich sich ganz langsam über seinen ganzen Körper, als er auch dort diese

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