Seelenbrand (German Edition)
gewehrt habe? Wieder habe ich mir alles gefallen lassen!« Geistesabwesend kaute er auf der Kruste herum. »Hätte ich im letzten Winter nicht diese mörderische Lungenentzündung bekommen, säße ich wahrscheinlich immer noch da oben in den Bergen!«
Seine grauen Gäste huschten hin und her und schoben das Brotstück aufgeregt über den Dielenboden.
»Wenn ihr wüßtet«, er seufzte herzzerreißend, »wie oft ich mir für meine zwei Gemeinden – bei Dunkelheit – auf den glitschigen Pfaden fast den Hals gebrochen hätte. Bei Wind und Wetter und zu jeder Tages- und Nachtzeit mußte ich raus.« Ermachte eine Pause und betrachtete sein Publikum, das sich – im wahrsten Sinne des Wortes – köstlich zu amüsieren schien. »Mehr als einmal bin ich in diesen fünfzehn Monaten bei stockfinsterer Nacht die fünf Kilometer zur Nachbargemeinde gehetzt, um die Sterbesakramente zu spenden. Ob klirrende Kälte oder eisiger Schneesturm, immer über diese glitschigen Wege, direkt am Abgrund entlang!«
Das knusprige Brot knackte und knirschte, als er seine kräftige Hand langsam – wie einen Schraubstock – schloß und den Inhalt zerquetschte.
Die drei grauen Mäuse erstarrten und spitzten ihre kleinen Ohren, um dann – als nichts geschah – ungeniert weiterzufressen.
»Es war die Hölle da oben!« murmelte er und sackte erschöpft vornüber.
Stimmen, Rufe, Tumult, irgendwo vor der Tür des Pfarrhauses. Er holte tief Luft, richtete sich wieder auf und löste den Griff seiner kräftigen Hand. »Seht ihr«, der deformierte Klumpen Brot fiel auf den Tisch, »hier geht der Wahnsinn schon weiter!«
Kopfschüttelnd trottete er durch den Flur und riß die klemmende Eingangstür mit einem gewaltigen Ruck seines muskulösen Arms nach innen los. Pierre du Lac, jetzt redest du schon mit Mäusen. Das ist doch wirklich krank, oder? Aber sonst hört mir ja niemand zu ...
Als er auf den Pfarrhof hinausblickte, traute er seinen Augen nicht und verharrte im Türrahmen, um sich schweigend das seltsame Treiben anzusehen. Eine klapprige Gestalt, die mit einer schäbigen braunen Kutte bekleidet war, hetzte atemlos von einer Ecke des Hofs zur anderen.
»Los! Raus da! Wollt ihr wohl ... Pfui!« Klatschend rannte sie hinter einer schwarzen Ziege her, die bis gerade noch unbeeindruckt mitten im einzigen Blumenbeet des Pfarrhauses gestanden hatte. Genüßlich kaute sie auf einer der letzten bunten Blumen herum, die sich hier im feuchten Schatten der Kirche mühevoll am Leben gehalten hatten. Mit ihren leuchtenden Farben hatten sie die schäbige Wand des muffigen Gemäuers mit einem Hauch von Lebensfreude verziert. Das letzte Blütenblatt verschwand gerade im kauenden Maul dieses schwarzen Ziegentieres.
Die klapprige Gestalt, deren Haare so wild in der Gegend herumstanden, als hätte sie ein Blitzschlag unter Strom gesetzt, versuchte mit wachsender Verzweifelung eine weitere Ziege mit sanfter Gewalt aus den Blumen zu drängen. »Oh Gott, oh Gott!« jammerte sie. »Müßt ihr mir denn ständig Ärger machen?« Da keines der drei meckernden Tiere seine Aufregung zu teilen schien, und sie statt dessen damit fortfuhren, ungeniert eine Pflanze nach der anderen abzurupfen, zog die wirre Gestalt eine ihrer Sandalen von den nackten Füßen und hielt sie drohend in die Luft. »Ich werd’s euch zeigen, ihr Teufelsbraten! Zur Strafe gibt’s heute abend keine Kräuter!«
Pierre verschränkte seine Arme und setzte sich ruhig auf die Stufe vor der Pfarrtür, ohne daß die braune Vogelscheuche etwas davon mitbekam. Da er ein wenig Erheiterung brauchen konnte, um seine schweren Gedanken zu verscheuchen, kam ihm diese groteske Szene gerade recht, und daher wollte er den Ablauf des Schauspiels keinesfalls unterbrechen.
Aha! Diesen alten Latschen – der im übrigen so zerfleddert aussah, als stamme er noch vom heiligen Franziskus persönlich – den schienen die gehörnten Vierbeiner zu kennen. Sie hoben ihre Köpfe und unterbrachen das emsige Kauen für einen Augenblick, als sich ihnen die schäbige Sandale rotierend durch die Luft näherte und klatschend gegen die Kirchenmauer flog.
Sieh mal einer an! Pierre schmunzelte, als sich die frechen Kreaturen meckernd, aber wie auf Kommando, alle gleichzeitig aus dem Beet zurückzogen. Das ist also das offizielle Zeichen, daß der Spaß jetzt vorbei ist.
»Oh Gott, oh Gott!« jammerte die hagere Gestalt wieder, als sie wieselflink zum Aufschlagort des Latschens hinübereilte. Hektisch schlüpfte sie in die
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