Seelenbrand (German Edition)
seltsamen Markierungen sah. Wieder waren zwei Figuren aus der Abendmahlsszene überdeutlich gekennzeichnet. Zwei Personen? Was hat das nur zu bedeuten? Er war ratlos. Welches Geheimnis wollte der alte Abbé hier oben in diesem schwarzen Raum verbergen? Vielleicht handelte es sich bei diesem dunklen Gewölbe auch nur um die Schatzkammer eines besessenen Sammlers? Vielleicht gab es gar kein Geheimnis hier oben. Aber was auch immer es war, es mußte mit dem zusammenhängen, was auf den Gemälden zu sehen war.
Es sah fast so aus, als habe Abbé Saunière dieses fensterlose Verlies angelegt und mit den schwarzen Vorhängen ausgekleidet, um den Bildern das Licht zu nehmen. Vielleicht wollte er sie allesamt zum Schweigen bringen, denn ohne das Licht blieben sie stumm, und sie konnten nichts von dem verraten, was der alte Abbé auf ihnen entdeckt hatte.
Ihr Geheimnis sollte in diesem unheimlichen Schlund ewiger Dunkelheit begraben werden.
4
Herzhaft biß Pierre ein großes Stück aus der noch ofenfrischen Scheibe Brot, die von einem überdimensionalen Stück saftigen Landschinkens bedeckt war. Der Duft von frischem Kaffee wehte durch die Räume und erweckte das Pfarrhaus zu neuem Leben. Die Fenster und Türen waren weit geöffnet, und das ausgelassene Zwitschern der Vögel wurde von der milden Brise dieses sonnigen Morgens hereingetragen.
Während er und Marie gestern im Turm auf das seltsame Verlies mit den Gemälden gestoßen waren, hatte diese fürsorgliche Seele Madame Pauline das leblose Gemäuer mit ihrem Besen und mit viel Liebe in einen schon fast heimeligen Zustand versetzt.
Eigentlich hatte er es doch gar nicht so schlecht getroffen!
Genüßlich kaute er auf einem dicken Stück Schinkenspeck herum und ließ dabei seinen Blick durch die geräumige Küche schweifen, bevor seine Augen auf dem bunten Strauß Sommerblumen verweilten, der vor ihm auf dem Tisch stand. Er hatte zwar nicht besonders gut geschlafen, aber sein neues Heim wirkte trotzdem nicht mehr so bedrohlich.
Bevor er sich am gestrigen Abend in seine Schlafkammer ins obere Stockwerk zurückgezogen hatte, waren seine Gedanken unaufhörlich um die unglaublichen Dinge gekreist, die an diesem seltsamen Ort – innerhalb weniger Stunden – über ihn hereingebrochen waren. An Schlaf war überhaupt nicht zu denken, stundenlang hatte er sich unruhig hin und her gewälzt. Wie um Himmels willen sollte jemand im Schatten dieser widerlichen Kirche seine Nachtruhe finden. Dieser Fluch am Kirchenportal, der faulige Gestank, der aus jeder Fuge kroch und dann ... dieses Moos, das auf ihm gewachsen war. Es war alles dort unten, direkt vor seinem Fenster, nur wenige Meter von seinem Bett entfernt. Es hätte während der Nacht ganz leicht nach ihm greifen können ... Er mußte sich schütteln. Bei dem Gedanken, daß er im Bett seine Augen geschlossen hatte, und diese schwarze und stinkende Luft währenddessen unaufhörlich durch seine Lungen geströmt war, lief ihm ein eisiger Schauer über den Rücken.
Aah! Der Kaffee tut jetzt wirklich gut! Nach dieser Nacht ... und dieses Brot ... hmmm ... köstlich!
Glücklicherweise hatte ihn gestern abend niemand dabei beobachten können, wie er einige Zeit lang regungslos vor der verschlossenen Kellertür gestanden hatte. Es stank doch zum Himmel, daß der Schlüssel für die Tür verschwunden war! Obwohl er sich geschworen hatte, nicht gleich am ersten Tag hysterisch zu werden und hinter allem eine List des Bösen zu vermuten, so hatte sich doch sein Innerstes vehement dagegen gewehrt, diesen fehlenden Schlüssel als Lappalie abzutun.
Gott sei Dank hat sie mir eine große Kanne mit diesem Gebräu gebracht! Ooh! Dieser Nacken bringt mich noch mal um! Vorsichtig drehte er seinen Kopf hin und her und griff sich seufzend ins Genick.
Der Keller war im übrigen der einzige Raum des Pfarrhauses, den er noch nicht betreten hatte. Und das hatte ihm bereits gestern abend ein derartiges Unbehagen bereitet, daß er – noch bevor er Schlafen gegangen war – die Tür im Schein seiner Laterne untersuchen mußte. Sie bestand aus schweren Bohlen und war – ähnlich wie das Kirchentor – fast fugenlos mit dem umgebenden Mauerwerk verbunden. Zentimeter für Zentimeter war er mit seiner Nase den haarfeinen Spalt zwischen Tür und Stein entlanggefahren, aber er konnte keinen Geruch ausmachen, der faulig aus dem tiefen Felsenkeller quoll. Gott sei Dank konnte ihn niemand dabei beobachten, wie er dazu auf allen Vieren auf dem Boden vor der
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