Seelenbrand (German Edition)
angekettet war.
»Bitte nehmen Sie doch Platz!« Von Rittenberg hatte seinen Anfall scheinbar hinter sich und legte seine Pistole wieder beiseite.
Marie zog Pierre auf die mit einem dicken Strohsack gepolsterte steinerne Bank zurück, an der die Kette in der Wand befestigt war.
»Dann wollen wir doch mal sehen, was wir hier haben!« Sorgsam strich er das völlig zerknitterte und zum Teil eingerissene Pergament glatt. »Geht man so mit unersetzlichen Altertümern um?« Sein strafender Blick galt seinen beiden Gästen dort hinten in der Ecke.
Als er sich schließlich in das Papier vertiefte, hatte Pierre zum erstenmal die Gelegenheit, sich umzusehen. An Flucht war im Augenblick ohnehin nicht zu denken, solange sie angekettet war. Marie hatte sich währenddessen an ihn geklammert. Sie machte einen verstörten Eindruck. Aber das war ja auch kein Wunder, nach diesen Ereignissen.
»Der hat hier unten ein Büro?« raunte Pierre ihr zu.
Und tatsächlich, der Raum war mit den hellsten Laternen ausgestattet, die er je gesehen hatte. Der Steinboden war akribisch abgefegt worden, und in einer Ecke der Kammer stand eine große Holzkiste. Der Schreibtisch, an dem sich von Rittenberg immer noch mit dem Schriftstück befaßte, stand in der Mitte.
Was war denn nur mit Marie los? Sie zitterte und preßte sich an ihn.
»Lassen Sie uns jetzt gehen! Sie haben doch alles, was Sie wollten!« Pierre erhob sich, und sofort legte von Rittenberg seine Hand auf die Pistole neben sich.
»Bitte, setzen Sie sich wieder und genießen Sie Ihren Aufenthalt hier, um den Sie viele Menschen übrigens sehr beneiden würden!«
»Der spinnt doch!« flüsterte er Marie ins Ohr, aber sie reagierte nicht. Diese Entführung schien ihr doch mehr zuzusetzen, als er zunächst angenommen hatte.
Von Rittenberg sah auf und legte das Papier kurz zur Seite. »Sie haben mich in eine sehr schwierige Situation gebracht.« Pedantisch ordnete er die Bleistifte auf dem Schreibtisch.
»Warum?« fragte Pierre zurück, als Marie sich nicht rührte.
»Weil Ihr Vater uns sehr große Probleme bereitet hat!«
»Wer?«
Marie begann zu schluchzen.
Von Rittenberg griff nach seiner Waffe und erhob sich.
»Mein Vater?« wiederholte Pierre ratlos.
Die graue Maus mit dem großen Schädel kam auf sie zu. Marie hatte ihre Umklammerung gelöst und sich in die hinterste Ecke der Sitzbank verkrochen. Ihr Gesicht weinend in einem weiteren Strohsack vergraben. Von Rittenberg blieb vor Pierre stehen und sah ohne jede Regung zu ihm hinunter.
Was hat er vor? Er wollte ihnen doch wohl nichts antun?
Er stand eine ganze Weile einfach da und schien dem Schluchzen von Marie zu lauschen. Dann griff er blitzschnell in eine Tasche seines schwarzen Anzugs – Pierre fürchtete schon das Schlimmste und war zum Sprung bereit – und riß ein weißes, gebügeltes Taschentuch heraus. »Geben Sie das bitte Ihrer kleinen Freundin!« Sein Blick war leblos und eiskalt. »Ich bin doch kein Unmensch!« fügte er noch hinzu, bevor er wieder zu seinem Schreibtisch hinüberschritt und ein Blatt Papier betrachtete.
Marie war im Augenblick nicht ansprechbar. Nur mit Mühe konnte er ihr das frisch gestärkte Taschentuch zustecken. Sie hatte sich abgewandt und ihr Gesicht immer noch in diesem Strohsack vergraben. Die Situation war für ihn momentan völlig undurchsichtig, und ehe er von Rittenberg um Aufklärung bitten konnte, richtete der schon wieder das Wort an ihn.
»Kennen Sie das?« fragte der irre Zwerg und ließ etwas zwischen seinen Fingern hin und her pendeln.
»Ein Anhänger?« mutmaßte Pierre.
»Sehen Sie ihn genau an!« Von Rittenberg hob seine Waffe und reichte ihm die an einem Lederriemen hängende Scheibe.
Da es in dieser Kammer taghell war, konnte Pierre die Inschrift mit einem Blick entziffern. »Ja!« er nickte. »Das ist Maries Schutzamulett mit den vier Erzengeln. Sie besitzt es schon seit ihrer Kindheit!«
»So?« Von Rittenberg schien irgendwie Gefallen an diesem Rätselspiel zu finden. »Und was trägt Ihre kleine Freundin da um den Hals?« fragte er mit seiner hohen und ausdruckslosen Stimme.
Pierre beugte sich zu Marie hinüber. Es war sinnlos, sie anzusprechen, denn sie weinte immer noch in diesen Strohsack.
»Ja, aber ... sie trägt ihren Anhänger doch um den Hals!«
»Aha!« Von Rittenberg hob einen Finger. »Ist das nicht spannend?« Er schien diese Inszenierung von ... Ich weiß etwas, das du nicht weißt ... regelrecht zu genießen. »Ein zweiter
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