Seelenbrand (German Edition)
seufzte schmerzlich. »Sie hat mir leider nie gepaßt und liegt deshalb seit vielen Jahren unbenutzt in der Truhe. Aber wenn ich Sie so betrachte ...«, wohlwollend musterte er Pierre von oben bis unten, »würde ich sagen, daß Sie den Beruf verfehlt haben. Bei Ihnen sitzt das Ding ja wie angegossen.« Voller Tatendrang rieb er sich seine großen Hände. »Na schön! Ich finde, nach diesem köstlichen Mal sollten wir wieder an die Arbeit gehen, oder haben Sie noch eine Frage?«
Er mußte zugeben, daß er den Verstand des Dicken unterschätzt hatte. Selbst Schuld! Wenn man so herumläuft, braucht man sich ja nicht zu wundern, wenn einen die Leute für nicht ganz dicht halten. Und dabei ist er ein heller Kopf. Pierre zuckte nur mit den Schultern. »Ich weiß alles, was ich wissen muß! Sind wir Männer oder Tratschweiber?«
Der Dicke brüllte auf vor Lachen und klopfte ihm freundschaftlich auf den Oberarm. »Zwei von unserer Sorte und ruckzuck wäre es mit dem Verbrechen in unserer Gegend vorbei! Möchte wissen, wie Sie Pfarrer werden konnten? Eine Schande!«
Der Dreihundertpfünder mit dem goldenen Lametta auf den Schultern wollte Pierre den Vortritt lassen und zeigte zur Gefängnistür.
»Oh nein, mein Lieber!« Pierre lachte und drohte mit dem Finger. »Sie gehen vor. Weiß der Himmel, was Sie jetzt schon wieder im Schilde führen!«
»Mensch, Sie sind aber mißtrauisch«, grinste der Dicke von einem Ohr zum anderen. »Na, schön! Dann nehmen Sie aber das Tablett, das Agnès hierher gestellt hat.« Er zog das weiße Leinentuch zur Seite, und zum Vorschein kam das gleiche Essen, das sie beide gerade genossen hatten. Hasenbraten, Gemüse, Brot und ein großer Krug Wein. »In meinem Gewahrsam ist noch niemand verhungert!« Der Gendarm kniff ein Auge zu. »Auch wenn Sie mich im ersten Augenblick bestimmt für einen Unmenschen gehalten haben. Aber lassen wir das jetzt!«
Sie betraten den dämmrigen, aber angenehm kühlen Raum und verschlossen die Tür von innen. Der Totengräber lag immer noch, wie vorhin, bewegungslos auf dem Rücken. »He! Jacques! Zimmerservice! Beweg die alten Knochen!«
Der Angesprochene reagierte sofort, setzte sich langsam und mißmutig auf und hielt seinen Kopf, so als habe er einen fürchterlichen Kater.
»Hier, zieh das an!« befahl der Gendarm freundschaftlich, während er das Handgelenk von der Kette löste und einen Stapel Kleidung hinwarf.
Als der Totengräber von seinen Fesseln befreit war, beschlich Pierre ein ungutes Gefühl, und er machte sich innerlich darauf gefaßt, gleich wieder in eine Rauferei verwickelt zu werden.
Mißmutig und mit geröteten Augen erhob sich der irre Würger und taumelte einen Schritt auf Pierre zu. Der stand kurz davor, das Tablett fallenzulassen, um sich besser verteidigen zu können.
»Hasenbraten?« Jacques blieb unerwartet vor ihm stehen und betrachtete mürrisch das Essen. »Hast du ihn wieder mit der großen Ladung geschossen, Iwan?«
Noch während Pierre sich darüber wunderte, daß der Totengräber so ruhig und normal vor ihm stand, tippte der Glatzkopf an seine Schulter. »Wir kennen uns seit fast dreißig Jahren und sind regelmäßig zusammen auf die Jagd gegangen, bis er diese hysterischen Anfälle bekam. Da möchte ich nicht gerade vor seiner Flinte stehen, wenn der ‘ne große Schrotladung drin hat! Sie wissen schon, was ich meine.« Er tippte sich unauffällig an die Schläfe.
»Uah!« Der Totengräber gähnte unflätig und reckte sich. »Wer bist denn du überhaupt?!« Erst jetzt schien der Irre begriffen zuhaben, daß sie hier drinnen zu dritt waren. Er sah Pierre durchdringend an. Alles, was ihn jetzt noch von einem zweiten Würgeüberfall trennte, war dieses Tablett mit dem Mittagessen zwischen ihnen. »Kennen wir uns nicht irgendwoher?« forschte er und kratzte sich am Ohr.
»Mein neuer Stellvertreter!« sprang der Dicke ein, als er die aufsteigende Spannung spürte.
»Seit wann hast du einen Vertreter?« bohrte der Totengräber halsstarrig weiter und griff sich an den Kopf.
»Seit heute!« Der Gendarm wollte eigentlich noch etwas sagen, aber der schmuddelige Würger hatte sich schon wieder von Pierre abgewandt.
»Kannst du hier drin nicht endlich dieses verdammte Geklapper und Gebrumme abstellen, Iwan?« Der Totengräber riß sich beide Hände vor die Ohren. »Das ist ja nicht zum Aushalten!«
Der Dicke sah zu Pierre hinüber und zuckte mit den Schultern. Natürlich war es hier drin mucksmäuschen still! Das Gebrumme gab
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