Seelenbrand (German Edition)
Pierres Kopf begann allmählich zu verdampfen. Nächstenliebe hin oder her, er würde diesem Elefanten jetzt erst mal .. . Er kam aber nicht mehr dazu, seine wahrhaft unchristlichen Gedanken zu Ende zu führen, als sich ihm plötzlich eine Pranke entgegenstreckte.
»Kommen Sie, ich helfe Ihnen!« Der Dreihundertpfünder hatte auf einmal seine Tonart gewechselt und beugte sich zu ihm hinunter.
Pierre zögerte und überlegte. Vorsicht! Vielleicht ist das wieder so eine Art Schabernack! Der Dicke hat wirklich einen seltsamen Humor! Schließlich griff er zu, und das Walroß zog ihn wieder hoch auf seine Beine.
»Sie haben es genau gewußt, nicht!« Er sah den Uniformierten durchdringend an und hielt dessen Hand fest. Das Wasser rann ihm immer noch in kleinen Bächen übers Gesicht.
Der Dicke blickte ihn unschuldig an, ohne etwas zu sagen. Plötzlich begannen seine buschigen Augenbrauen zu vibrieren und seine Schnurrbartspitzen zu tanzen. Schließlich brach er in ein ohrenbetäubendes Gelächter aus.
»Hab’ ich’s mir doch gedacht!« brachte Pierre gerade noch hervor, bevor er sich von dem Gelache und Gepruste anstecken ließ. Der Gendarm hielt sich seinen hin und her wippenden Bauch, und Tränen rannen über seine Wangen. Er brachte kein Wortmehr heraus. Dieser irre Würger von vorhin lag wieder teilnahmslos in seiner Ecke, festgekettet an der Wand, so als sei nichts geschehen. Immer noch keuchend vor Lachen öffnete das Walroß Knopf für Knopf seiner Zirkusjacke und gab den Fettmassen – in seinem verschwitzten Unterhemd – wieder freien Lauf. Seine andere Hand streckte er noch einmal in Pierres Richtung aus.
»Alexander Wjatscheslaw Iwanowitsch! Aber Sie dürfen Iwan zu mir sagen!«
Die Hände der beiden griffen zu wie zwei Schraubstöcke.
»Eigentlich bin ich Abbé du Lac, Pfarrer aus Rennes-le-Château. Aber so wie die Dinge hier momentan stehen«, er blickte demonstrativ an seiner triefenden Soutane hinunter, »reicht ... Pierre!«
Sie traten aus der Gefängnistür hinaus zurück in den sonnigen Garten, begleitet von einem schmatzenden Geräusch, das seine Schuhe bei jedem Schritt von sich gaben. Der Dicke deutete mit seinem Daumen auf den offenen Spalt der Tür, die er wieder nur angelehnt hatte. »Sie haben doch bestimmt schon vorhin mal gedacht: Da hat der alte Trottel doch tatsächlich vergessen, sein Gefängnis abzuschließen. Stimmt’s!«
»Ja!« Pierre gab sich überhaupt keine Mühe zu lügen.
Sein Gegenüber stutzte einen Moment und klopfte ihm dann laut lachend auf die Schulter. »Ich mag Ihre Ehrlichkeit! Da haben wir schon mal was gemeinsam!« Teilnahmsvoll fuhr er mit seiner Pranke über Pierres Arm. »Aber kommen Sie erst mal mit, wir müssen Sie unbedingt aus diesen nassen Sachen rausholen, sonst holen Sie sich ja noch den Tod! Und das wäre doch wirklich schade«, der dicke Gendarm spielte vergnügt mit seinen Augenbrauen, »weil es für die Überlebenden nachher nämlich noch einen schönen Braten gibt.«
Bei den Temperaturen hier drohte ihm zwar nicht der Kältetod, wenn er sein nasses Zeug anbehielt, aber er sah aus, als hätte man ihn gerade vor dem Ersaufen gerettet.
Der Gendarm hatte es sich schon am Tisch bequem gemacht und zeigte auf den zweiten Stuhl. »Kommen Sie und setzen Sie sich! Der da drinnen ist gut verwahrt!«
Ja, warum sollte er nicht noch bleiben? Viel hatte er ja ohnehin noch nicht herausgefunden. Abgesehen von der Erkenntnis, daß dieser Totengräber nicht nur ein gemeingefährlicher Brandstifterwar, sondern auch ein heimtückischer Würger, war sein Besuch bislang ein Fehlschlag.
»Agnès!« schrie der Dicke in Richtung Haus. »Agnès! Agnès!«
Sichtlich genervt erschien seine Frau mit einem Lappen in der Hand an der rückwärtigen Tür des Hauses. »Alexander Wjatscheslaw Iwanowitsch!« Drohend wedelte sie mit dem Tuch. »Wie oft habe ich dir schon gesagt, daß du nicht hinter mir herbrüllen sollst? Ich bin doch keiner deiner Häftlinge!«
Wie von einer Ohrfeige getroffen zog der Gendarm seinen Glatzkopf zwischen die Schultern. »Auweia!« sagte er leise zu Pierre. »Ehefrauen! Ich kann Ihnen sagen ... da machen Sie vielleicht was mit. Seien Sie froh, daß Ihnen als Pfarrer dieses grausige Schicksal erspart bleibt.«
»Und hör auf«, sein Eheweib meldete sich wieder mit scharfer Stimme vom Haus, während sie sich resolut die Hände an dem Lappen abtrocknete, »über die Frauen zu schimpfen! Ich kenn’ dich doch, Iwan! Was soll denn nur unser Gast
Weitere Kostenlose Bücher