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Seelenbrand (German Edition)

Seelenbrand (German Edition)

Titel: Seelenbrand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Mickholz
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wollte er dessen Volk nicht beleidigen ... Diesem selbstgebrannten Alkohol, den es dazu gab, war er mit Hinweis auf sein Priesteramt glücklicherweise noch mal entgangen.
    Das Katzentier mit dem einen Auge saß neben seinem Napf und schleckte sich zum Nachtisch genüßlich die Pfoten ab. Bäh! Dieser Fischgeruch ...
    Sie waren zwar noch zweimal beim Totengräber in der Zelle gewesen, aber nach dem vielen Wein war der nicht mehr zu gebrauchen. Der Gendarm hatte ihm daraufhin noch versprochen, seinen Freund weiter im Auge zu behalten und sich bei Pierre zu melden, wenn es etwas Neues gäbe.
    Die Katze hatte unterdessen ihr Mahl beendet, sich erhoben und verließ jetzt den Raum, ohne Pierre auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen.
    Sie hatten auch noch über diese seltsame Marienstatue mit den beiden Kindern gesprochen, an der er auf seinem Rückweg noch einmal halt gemacht hatte, ohne daß ihm dabei eine Erleuchtung gekommen wäre. Für den Gendarmen war es kein Geheimnis gewesen, daß der alte Abbé die Figurengruppe hatte aufstellen lassen. Wegen der Beschädigung der Inschrift am Fuß hatte er ihn sogar persönlich aufgesucht. Aber sonst habe er mit dem Alten nicht viel zu schaffen gehabt.
    Sein Blick schweifte aus dem Fenster. Über den kleinen Platz hinüber zur Kirche, deren Tür nunmehr seit Tagen offenstand, um diesen widerlichen Gestank endlich loszuwerden. Eigentlich könnte er sich doch heute noch mal diesen Turm ansehen, den geheimen Arbeitsort des Alten mit seinen Bildern.
    Gerade als er sich die Tasse an die Lippen setzte, um sie zu leeren, hielt er inne. Da ist doch etwas! Dort hinten an der Kirchentür! Er setzte die Tasse ab, erhob sich und trat ans Fenster. Was ist denn das? Er sah angestrengt hinüber. Ja, da hinten ist doch jemand! Da! Jetzt duckte sich diese Person, die ein schwarzes Gewand trug, im Schatten der großen Kirchentür. Das Gesicht tief verborgen unter einer Kapuze. Sieht aus wie eine Kutte. Ist das Bruder Severin? Aber der besitzt doch nur diesen braunen, zerschlissenen Sack, der eigentlich kaum noch etwas mit einer Kutte gemein hat.
    »Hallo! Guten Morgen!« rief er der unbekannten Person durchs offene Fenster hinüber.
    Diese duckte sich daraufhin wie ein Hase vor dem Jäger, um dann im nächsten Moment hochzuschnellen und loszurennen. Sie verließ eiligst den Schatten der Tür, über der immer noch die großen Lettern prangten: T ERRIBILIS E ST L OCUS I STE – dieser Ort ist schrecklich. Hastig und mit wehender Kutte rannte die Gestalt an der Außenwand der Kirche mit ihren spaltförmigen Fenstern entlang und verschwand am entfernten Ende des Gebäudes – ohne sich noch einmal umzusehen.
    Dort ging es nur zum alten Friedhof, auf dem er sich noch nicht einmal umgesehen hatte. Ein massives Eisentor versperrte den Zugang. Mannshoch und undurchdringlich von Efeu umschlungen, verwehrte es jedem Neugierigen ohne Schlüssel den Blick auf den Acker, auf dem schon lange niemand mehr beigesetzt worden war, wie Marie ihm erzählt hatte. Eingezwängt zwischen der rückwärtigen Wand der Kirche und der Mauer, die den Friedhof gegen den Abgrund hin abschloß, gab es nur diesen einen Zugang.
    Unentschlossen verweilte Pierre noch kurz am offenen Fenster und sah zur Kirche hinüber. Das wird doch nicht etwa ... er traute sich nicht weiterzudenken. Aber ein Spuk am hellichten Tage? Schnaufend strich er sich übers Gesicht, ohne den Zugang zum Friedhof aus den Augen zu lassen. ... Er könnte diese Sache natürlich ignorieren, aber der Gedanke, daß diese schwarze Kutte dann irgendwann uneingeladen nachts vor seinem Bett stehen könnte ... Verdammt!
    Er schleuderte die Serviette über die Tischplatte, verließ eiligst die Küche und hastete zur Haustür. Vielleicht ist das jetzt endlich die Gelegenheit, dem ganzen Spuk den Garaus zu machen. Wütend sprang er die Stufen vorm Pfarrhaus hinunter. Wenn ich den erwische!
    Mit den unchristlichsten Gedanken und Flüchen im Kopf rannte er auf die offenstehende Kirchentür und auf das monumentale Kreuz zu, das hoch wie ein Leuchtturm auf dem Vorplatz stand. Während er auf die hintere Kirchenecke zustrebte, an der die schwarze Person verschwunden war, fiel sein Blick – wie zufällig – auf die Inschrift, an der er schon so viele Male vorbeigegangen war: C HRISTUS BESCHÜTZE SEIN V OLK VOR DEM B ÖSEN . Das Antlitz des Gekreuzigten, der in Lebensgröße über ihm schwebte, lag im Schatten.
    Er raste um die Ecke und stand schnaufend vor dem Eisentor

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