Seelenbrand (German Edition)
es also nur in den Gehirnwindungen des Irren ... Vorsicht! Dieser Kerl ist wie ein Dampfkessel vor dem Platzen ...
Aber urplötzlich verlor der Totengräber aus heiterem Himmel seine Angriffslust und sackte förmlich in sich zusammen. »Ist alles sowieso egal!« Er winkte resigniert ab und wandte sich wieder seinem Lager zu. »Bald gibt es ohnehin nichts mehr, auf das ihr beiden aufpassen könnt.« Völlig ermattet ließ er sich auf seine Pritsche sacken, sein glasiger Blick verlor sich irgendwo zwischen seinen nebeligen Gedanken.
»Ist das nicht erstaunlich?« flüsterte der Dicke Pierre zu. Der hatte das Tablett mittlerweile direkt neben dem Irren auf einen Tisch gestellt. »Er kann sich an nichts erinnern. Und jetzt, wo Sie keine Soutane tragen, da ist er völlig friedlich.«
Der Totengräber hatte sich mittlerweile den Weinkrug an den Hals gesetzt. Obwohl der Rote in Strömen an seinem Mund vorbei über seine Brust floß, leerte er das Gefäß, ohne es auch nur einmal abzusetzen. Nach einem Rülpser wischte er sich mit dem Ärmel das Gesicht ab und ließ sich einfach hintenüberfallen.
»Gutes Benehmen hat unser Jacques ja noch nie gehabt«, entschuldigte sich der Gendarm. »Aber vielleicht löst ihm der Wein die Zunge.« Er zog sich einen Stuhl heran und deutete wortlos auf einen zweiten, der in einer Ecke stand.
»Hast du den alten Abbé wieder gesehen?« fragte er den Totengräber, als Pierre sich vorsichtig dazusetzte.
Die glasigen Augen des Irren verrieten keine Aktivität. »Nein, nein!« Er schüttelte schließlich gereizt den Kopf. »Ich hab’ dir doch schon mal gesagt, du Ochse, daß er den Kirchplatz nicht verlassen kann.«
Der Gendarm drohte ihm mit der Hand. »Wenn du nicht schön brav bist, mein Freund, werde ich dich gleich persönlich draußen kopfüber in die Regentonne stecken!«
Der Rotwein schien den Irren müde zu machen. Offenbar angewidert von der Vorstellung, irgendwelche Fragen beantworten zu müssen ohne herumpöbeln zu dürfen, verzog er mißmutig sein Gesicht.
»Wenn du ein lieber Kerl bist, dann ist für dich auch noch ein Krug Wein drin«, setzte der Dicke schnell nach, als er ihre Chancen auf eine Mitarbeit des Brandstifters schwinden sah. »Dann kannst du besser schlafen.«
Die müden Augen des Totengräbers blickten ihn traurig an.
»Seit Wochen findet er keine Ruhe mehr«, flüsterte der Gendarm. »Er will um keinen Preis die Augen schließen!«
»Du brauchst gar nicht so zu flüstern, Iwan, ich bin doch nicht verrückt!« lallte der Gefangene vor sich hin und griff sich wieder an die Ohren. »Und stell endlich diesen Lärm ab!« polterte er unwillig.
»Ja, Jacques, das machen wir gleich!« Pierre sprach so einfühlsam, wie das bei jemandem möglich war, der ihn fast ins Jenseits befördert hatte. »Aber erst sagen Sie uns, was Sie gesehen haben!«
»Seltsam, irgendwoher kenn’ ich dich doch!« Er kniff seine Augen zusammen und beäugte Pierres Gesicht. »Ist aber auch egal.« Er sackte wieder zusammen. »Bald sind wir sowieso erledigt.« Mit ruhiger Stimme sprach er weiter. »Ja, der alte Abbé ... wir kennen uns schon viele, viele Jahre.« Er schüttelte den Kopf. »Aber daß alles so enden würde, das hätten wir nicht gedacht.« Sein Blick wurde wieder glasig.
»Ich habe ihm gleich gesagt, daß er damit aufhören sollte ... mit diesen Sachen.« Verzweifelt blickte er seine beiden Gegenüber an. »Aber er wollte einfach nicht hören, und er hat jede Nacht weitergegraben ... auf meinem Friedhof.« Er flüsterte. »Bis er es endlich gefunden hatte.«
Der Wein begann zu wirken und seine Augen fielen immer häufiger zu. »Er hat sich an allem versündigt, woran wir glauben. Er hat alles zerstört.«
»He, Jacques!« Der Gendarm rüttelte ruppig an dessen Schulter. »Red gefälligst weiter! Jetzt wird nicht geschlafen! Das kannst du nachher machen!«
Der Totengräber fuhr wieder hoch. »Ich konnte ihn nicht aufhalten!« rief er entsetzt. »Ich habe es immer wieder versucht ... aber er hat nicht auf mich gehört.« Seine Stimme klang zunehmend hysterischer. »Ich habe ihn gewarnt!« Er schrie und sprang auf. Die Hände zitterten und sein Blick war starr vor Wahnsinn.
Der Dicke sah Pierre schweigend von der Seite an, und beide nickten sich unmerklich zu. Aha! Rückzug! Es geht wieder los!
Während der Brandstifter zu toben begann, erhob sich der Gendarm langsam von seinem Stuhl, langte zur Kette hinüber und legte sie dem Irren vorsichtig um sein Handgelenk, ohne
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