Seelenbrand (German Edition)
Dachboden aus der Truhe geholt hatte.
Die Durchsuchung des Keller, der bis auf diese eine Ziegelwand, durch die seine Beute entkommen war, aus massivem Felsgestein bestand, hatte ihn nicht weitergebracht. Obwohl er jeden Balken und jede Kiste genau unter die Lupe genommen hatte, gab es außer einem Haufen Gerümpel nichts, was ihm etwas über seinen geheimen Besucher verraten hätte. Die alte Laterne, die jener auf seiner halsbrecherischen Flucht zurückgelassen hatte, sah so ähnlich aus wie die, die sie auf dem Friedhof bei sich hatten, aber das war auch schon alles.
»Puh!« Er wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. Diese lächerlichen Taschentücher mit eingesticktem Monogramm, die er zu seinem letzten Geburtstag bekommen hatte, und die eigentlich dafür gedacht waren, lagen noch ganz unten im Koffer, der immer noch nicht ausgepackt war. Irgend etwas muß dieses hinterhältige Subjekt in den Papieren gesucht haben! Ein normaler Einbrecher wäre gar nicht weiter gekommen als bis zum großen Saal. Er hätte dort seine Säcke gefüllt und wäre wieder abgehauen. Aber hier ging es ganz offensichtlich um etwas anderes, denn das Porzellan stand immer noch in den Vitrinen.
Um der Sache auf den Grund zu gehen, wollte er sich nachher – quasi als Bettlektüre – noch einen Stapel Papiere aus der Truhe heraussuchen, denn die Listen, die er gerade in der Hand hielt, halfen ihm überhaupt nicht weiter. Wenn das aber die Einkünfte des Alten sein sollten, dann machte er garantiert etwas falsch. Für sein Vermögen brauchte man keine Liste, sein Wohlstand ließ sich auch in eine hohle Hand kritzeln. Aber was wäre denn ... seine Gedanken kreisten um eine ganz andere Sache, als er die Zettel langsam zusammenfaltete und in der Tasche verschwinden ließ ... wenn der Totengräber in seiner Behausung eine ähnliche Begegnung mit diesem Phantom gehabt hat? Daß daraus hinterher der leibhaftige Satan wurde, der sich in seiner Speisekammer bedient haben soll, war ja nicht weiter verwunderlich. Er kannte doch dieses abergläubige Landvolk. Ein einfacher Schnipp mit dem Finger und sie vergaßen alles, was die Kirche seit Jahrhunderten predigte. Wie oft hatte er während seiner Messen in die leeren Augen der Zuhörer sehen müssen, die sich im Geiste lieber damit befaßten, ob man den Mist aus dem eigenen Kuhstall nicht irgendwie unauffällig auf dem Grund des Nachbarn unterbringen konnte, oder wie man die Sauferei am besten vor der Ehefrau geheim hielt. Natürlich wußte er, was in den meisten Köpfen vorging. Daher war es ein regelrechtes Geschenk, daß er an diesem öden Ort wenigstens eine Person getroffen hatte, die – wenn sie sich nicht gerade über irgend etwas aufregte oder mit ihrer Nase wieder in einem Geheimnis schnüffelte – die mit ihrem Verstand, aber auch mit ihrem unerschrockenen Herzen für ihn zu einem wahren Lichtblick geworden war: Marie!
Irgendwo in der Ferne grummelte es. »Da braut sich ganz schön waszusammen«, murmelte er, als er am Horizont die dunkle Wolkenwand näher kommen sah. Er zwängte sich an der Mauer durch das Gestrüpp zurück zur Straße.
Die Idee, daß der Totengräber vielleicht gar nicht so verrückt war, wie sie alle glaubten, beschäftigte ihn noch immer. Aber selbst wenn diese schwarzgekleidete Person tatsächlich in seinem Haus gewesen sein sollte, erklärte das nicht, warum sich der Irre selbst ein Grab schaufeln wollte.
Und dann dieses fürchterliche Gekreische: »Gott ist tot!« Er ging langsam die menschenleere Straße hinunter, bis zur Ruine des Hauses, das dem Totengräber gehörte. Ratlos blieb er vor den Trümmern stehen. Der alte Abbé hat Gott umgebracht?!
Er schüttelte den Kopf und betrat den kleinen Vorgarten. Wer sollte daraus nur schlau werden? Die verkohlten Reste der Haustür hingen noch in den Angeln und bewegten sich bei dem aufkommenden Wind quietschend hin und her. Das Dach war zusammengesackt, als seine Balken von den Flammen aufgefressen worden waren, und die rauchgeschwärzten Fensterhöhlen glotzten jedem, der vorbeiging, gespenstisch hinterher. Hier ein verkohlter Stuhl, dort die Reste eines Tisches, zerbrochenes Geschirr und da mußte das Bett gestanden haben. Er hat Gott umgebracht ... Der Teufel hat uns alle in seiner Hand! Versunken starrte er auf den erloschenen Scheiterhaufen vor sich. Was soll das nur bedeuten? Dieses hier war zwar der Ort, an dem alles begonnen hatte, aber es gab nichts mehr zu sehen, außer den aus groben
Weitere Kostenlose Bücher