Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
Vom Netzwerk:
Ausführungen und die vielen anderen Geräusche traten in den Hintergrund, bis sie in einer Blase der Stille zu sitzen schien, geschaffen von ihrer Furcht. Die Gedanken, die ihr durch den Kopf gingen, und die Gefühle, die sie bewegten … Waren es ihre eigenen? Oder trug auch sie eine Antenne, gut versteckt, mit der sie fremdes Denken und Fühlen empfing und es für ihr eigenes hielt? Die Frage war weniger absurd, als es zunächst den Anschein haben mochte. Einerseits ging sie davon aus, dass sie sich noch immer auf der Reise befand, unterwegs in einem fremden Space und dessen speziellen Regeln unterworfen, andererseits musste sie sich eingestehen, dass es sich ganz gewiss nicht um einen gewöhnlichen Space handelte. Sie war zunächst von einer besonders starken Integration ausgegangen, woraus sich genug Probleme ergaben – trotz all der Schulungen und trotz der stabilen theoretischen Basis verlor ihr Selbst die sichere neutrale Distanz zu der Welt, in der sie sich bewegte. Aber allmählich kamen ihr auch Zweifel an dieser Erklärung. Virtuelles Tetranol hatte es ihr ermöglicht, nach der Rückkehr zur – falschen – Foundation wieder auf die Reise zu gehen, geistig und körperlich, sehr zur Überraschung des anderen Matthias, der seine Welt für real gehalten hatte, so wie Benedict Lassonde für real hielt, sogar für die einzige wahre Realität. Sie hatte also Tetranol genommen, das eigentlich gar nicht existierte und nur durch die Kraft der Autosuggestion funktionierte, doch dieses Tetra musste seine Wirkung inzwischen verloren haben, selbst wenn es einen starken negativen Ereigniswinkel gab und ihre Zeit in Bezug auf die am Ausgangspunkt der Reise viel schneller verstrich. Doch sie war noch immer unterwegs, saß hier auf dem Rücken eines geflügelten Wesens und flog mit ihm durch eine Welt, die eine einzige große Stadt zu sein schien.
    Zacharias, dachte Florence und hielt sich an diesem Gedanken fest, wie eine Schiffbrüchige, deren Kräfte erlahmten, an einem Rettungsring. Er befand sich in Prisma, hatte der Avatar gesagt, und vielleicht gab es eine Möglichkeit, ihn zu erreichen; das hatte Benedict zumindest angedeutet. Darauf konzentrierte sie sich, um wieder Herr ihrer Gedanken und Gefühle zu werden und sich nicht in dem Chaos aus Möglichkeiten und Spekulationen zu verlieren. Wenn sie zu Zach zurückgefunden hatte, würden sie nach einer Möglichkeit suchen, zur echten Foundation zurückzukehren. Zacharias war ihr bester Traveller; er würde einen Weg finden.
    »Vielleicht können Sie hierbleiben, wenn alles hinter uns liegt«, sagte Benedict gerade.
    »Was?«
    Er drehte den Kopf ein wenig zur Seite, hielt den Blick aber nach vorn gerichtet. »Es wäre ein großes Privileg, und das Symposium ist sehr streng bei seiner Auswahl. Aber wenn wir mit Ihrer Hilfe Prisma finden und zerstören, wenn wir endlich die Gefahr ausmerzen können, die der Seelenfänger für uns alle darstellt … Dann wird man Ihre Bitte um Residenz in Lassonde sicher wohlwollend entgegennehmen. Natürlich bin ich bereit, ein gutes Wort für Sie einzulegen«, fügte der kleine Mann großzügig hinzu. »Ich könnte Sie zu meiner Assistentin machen. Und vielleicht …« Seine Lippen formten ein Lächeln. »Vielleicht können Sie bei mir noch mehr werden. Sie gefallen mir.«
    Du lieber Himmel, dachte Florence und schauderte bei dem Gedanken, in dieser stinkenden Welt zu leben, deren Luft in Hals und Lunge brannte. Sie war entschlossen, nicht länger als unbedingt nötig in Lassonde zu bleiben. Wenn Zach sich in Prisma befand, Salomos geheimem Domizil, brauchte er erst recht Hilfe, und nach seiner Befreiung gab es keinen Grund, hierher zurückzukehren.
    Benedict schwatzte weiter, erzählte von Protektors heroischen Bemühungen, Lassonde und den Hauptstrang des Netzes vor dem Seelenfänger zu beschützen. Er legte nicht einmal eine kleine Pause ein, als er, die Hände noch immer am Steuerknüppel des Sattelknaufs, den Fugel durch einen besonders dichten Wald aus Türmen steuerte, an denen zahlreiche Propeller wie falsch herum montierte Windräder rotierten – sie bliesen reinere Luft aus Oberstadt in den graubraunen Dunst von Unterstadt, wo die Ventile gewaltiger, viele Hundert Meter durchmessender Dampfmaschinen zischten und fauchten, während unter ihren stählernen Bäuchen breite Förderbänder liefen und Halbfertigteile zu den nächsten Fabriken transportierten, damit sie dort weiterverarbeitet werden konnten.
    Ein Stück voraus,

Weitere Kostenlose Bücher